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Die Zeit die bleibt

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Das Vermächtnis der Bilder
von Ansgar Thiele

Meer und Tod scheinen für Ozon eng zusammenzugehören (was im Französischen auch lautlich naheliegt). In Sous le sable (Unter dem Sand) war ein älterer Mann vom Schwimmen nicht zurückgekehrt. Le temps qui reste (Die Zeit die bleibt), der zweite Film von Ozons geplanter Trilogie sur le deuil (Trilogie über die Trauer), beginnt und endet mit einem Bild des Meeres. Diesmal geht es nicht um den Tod eines Partners, sondern um den eigenen Tod. Romain, ein junger, erfolgreicher Photograph erfährt, dass er an einem Krebs im Endstadium leidet und nur noch wenige Wochen zu leben hat. Ein beliebtes Thema, gängiger als der Gegenstand des ersten Films (zuletzt etwa in Coixets My life without me).

Die erste Einstellung zeigt Romain nah, von hinten, als zarten, androgyn wirkenden Jungen mit dunklem Lockenschopf, der am Strand steht, dann zum Wasser läuft. Sous le sable hatte die Verbundenheit der Eheleute über den Tod hinaus als einen realen, alltäglichen Umgang der Frau mit ihrem verstorbenen Mann inszeniert. Hier tritt immer wieder der junge Romain dem älteren gegenüber, Kindheitserinnerungen sind übergangslos in die Gegenwart montiert. Sterben als Dialog mit der eigenen Vergangenheit, dem früheren Ich.

Die bruchlose Verbindung von Erinnerung, Imagination und gegenwärtiger Realität unterstreicht, ohne dass Off-Kommentare nötig wären, die Perspektive des Protagonisten. Kaum eine Einstellung, in der Romain nicht, häufig in Naheinstellungen, im Bild wäre. Melvil Poupaud wird dieser Herausforderung gerecht, gerade nicht als attraktive Identifikationsfigur, sondern als zunächst fast unsympathische, unzugängliche Person, auf deren makelloser Physis sich immer deutlicher die tödliche Krankheit abzeichnet – der Schauspieler hatte sich für seine Rolle zunächst Muskeln antrainiert, bevor er sich während der Dreharbeiten einer rigorosen Diät unterzog.

Ozon gelingt es, Psychisches, statt durch geschwätziges Psychologisieren, über die visuelle Inszenierung der Körper zu vermitteln. Jeanne Moreau, die Romains Großmutter spielt, hat man sicher selten in so unmittelbarer körperlicher Realität gesehen. Die Szene, die die Begegnung von Großmutter und Enkel zeigt, ist schlicht atemberaubend. Nicht weniger überzeugend ist, schon optisch markant von ihrer unvergesslichen Rolle in Ozons 5x2 abgesetzt, Valéria Bruni-Tedeschi als Raststättenkellnerin Jany. Man könnte von einer liebevollen Schonungslosigkeit Ozons gerade im Umgang mit seinen Schauspielerinnen sprechen, die ihresgleichen sucht. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch das oft wunderbar natürlich wirkende Licht – etwa die Spätnachmittagssonne auf Janys Gesicht, als sie durch die Fensterscheibe der Raststätte dem (in dieser gespiegelten) wegfahrenden Romain nachblickt.

Die Situation des Protagonisten ist in Bilder umgesetzt, die formale und psychologische Präzision verbinden (Kamera: Jeanne Lapoirie, die hier bereits zum vierten Mal mit Ozon dreht). Die Wahl des Cinemascope-Formats – Ozon zufolge das ideale Format, um Horizonte, liegende Stellungen und den Tod abzubilden – begünstigt in den häufigen Naheinstellungen den Eindruck einer Fragmentierung der Körper. Sehr geringe Tiefenschärfe lässt die Isolierung der Hauptperson deutlich werden. Distanz und Intimität sind besonders subtil in einer Unterhaltung Romains mit seinem Vater und einem Handygespräch mit seiner Schwester umgesetzt: Der Vater bleibt, obwohl er unmittelbar neben Romain im Auto sitzt, der ihn schließlich zärtlich berührt, unscharf. Den vertraut klingenden Stimmen der telefonierenden Geschwister kontrastieren die in ihrer Helligkeit stark divergierenden Naheinstellungen beider, bevor zum Schluss der Sequenz innerhalb einer Einstellung der Fokus von Sophie auf Romain verlagert wird, der hinter seiner Schwester wie ein Gespenst aus dem Schatten der Bäume tritt. (Dies nur zwei Beispiele für die zahlreichen sehr eleganten, sehr treffenden visuellen Einfälle des Films.)

Die Beziehung Romains zu sich und seiner Umwelt konkretisiert sich in den Motiven von Spiegel und Photographie. Fast allgegenwärtige Spiegelungen illustrieren (durchaus konventionell) Selbstreflexion – wobei das Spiegelbild auch unscharf sein, Romain aus dem Spiegel sein jüngeres Alter Ego entgegenblicken kann. Nicht umsonst ist der Protagonist Photograph. Nach einem Photoshooting zu Beginn, das als heftig-klischeehafter Liebesakt inszeniert ist, und in der auf die Krankheit vorausweisenden Ohnmacht kulminiert, beendet Romain seine glamouröse Existenz als Modephotograph. Seine Kamera erhält nun eine persönlichere Funktion. Er photographiert seinen schlafenden Freund, von dem er sich gerade getrennt hat, seine Großmutter, seine Schwester und ihre Kinder, er photographiert zum Teil mit Tränen in den Augen. Seine Bilder dokumentieren einen Blick, der stirbt. Dem Tod setzt Ozons Le temps qui reste die Kraft der Bilder entgegen.