filmz.de
Closed

Jarhead - Willkommen im Dreck

[ Info ] [ Links ] [ Kommentare ]
ÜBER EINEN FILM MIT SCHLAGSEITE Dietmar Kesten 9.1.06 15:31

JARHEAD - WILLKOMMEN IM DRECK

ÜBER EINEN FILM MIT SCHLAGSEITE

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 7. JANUAR 2006.

„Apocalypse Now“ (Regie: Francis Ford COPPOLA, 1979) begann mit einem Paukenschlag. Unter WAGNER - Klängen ritten Soldaten der US Army ihre Hubschrauber durch den vietnamesischen Dschungel und töteten mit ihren Bord MGs alles, was sie unten am Boden sahen. Die „Doors“ sangen dazu: „This Is The End, My Only Friend.” In „Good Morning Vietnam” (Regie: Barry LEVINSON, 1987) wurden die kämpfenden Truppen in Vietnam 1965 durch Adrian Cronauer (Robin WILLIAMS), Moderator eines US - Soldatensender, mit populären Hits der 60er Jahre unterhalten. Eigentlich war es in allen Kriegs- und Antikriegsfilmen so, dass es stets an musikalischer Untermalung nicht mangelte. Sie war unverzichtbar geworden.
Ob in „Deer Hunter“ (Regie: Michael CIMINO, 1979), „The Killing Fields“ (Regie: Roland JOFFE, 1984 ) mit dem Soundtrack von Mike OLDFIELD, „Platoon“ (Regie Oliver STONE, 1986) mit „Hello, I Love You” (The Doors), „White Rabbit” (Jefferson Airplane), „Respect” (Aretha FRANKLIN), „Groovin” (The Rascals), „When a Man loves a Woman” (Percy SLEDGE) oder „Full Metal Jacket“ (Regie: Stanley KUBRICK, 1987) mit Wooly Bully” (Sam The Sham & The Pharaohs), „Surfin’ Bird” (The Trashman), „These Boots Are Made For Walking” (Nancy SINATRA)- die Songs waren in gewisser Weise Wegweiser. Und nicht selten konnten die Hirne der Soldaten damit noch rechtzeitig vor den Kampfeinsätzen zugedröhnt werden.

In „Jarhead - Willkommen im Dreck“ (Regie: Sam MENDE) ist es über weite Strecken nicht anders. Auch hier wollen die Soldaten ihre Songs. Der Soundtrack ist nicht nur obligatorisch, sondern symptomatisch für den ganzen Film. Das hat etwas. Und passt zusammen. Beides erweckt Hysterie und Euphorie. Man sehnt sich nach zu Hause, sucht nach Auswegen, dem Dilemma zu entkommen. Bei einer improvisierten Weihnachtsfeier ist die Truppe in „Jarhead“ sozusagen aus dem Häuschen und tanzt wild („Fight The Power“, Public Enemy) herum. Alle Tragödien bekommen so einen scheinbaren Schub. Das markiert sogar eine gewisse Zäsur; denn Coming Home
ist elementarer Überlebenswille, der sich fortpflanzt und buchstäblich Gehör findet. Bei denen, die zurückkehren, und denen, die sich im Dreck wälzen werden. Das Potpourri der Gefühle dreht sich somit irgendwie im Kreise. Bei Filmausschnitten aus „Apocalypse Now“ applaudiert die Truppe im Camp. Und dass die Soundgestaltung die Versteinerungen lösen soll, wird nach den ersten Minuten relativ deutlich. Nach der Ausbildung sitzen die Soldaten im Bus. Und Bobby McFERRIN singt „Don’t Worry Be Happy“.

1991: Die USA bauen in der Wüste Saudi - Arabiens die Armee auf, die Kuwait nach dem Einmarsch der Iraker zurückerobern soll. Der 1. Golfkrieg hatte begonnen. Und mit ihm der erste High - Tech Krieg der Geschichte. General SCHWARZKOPF wird später mit seinen Truppen auf dem Marsch nach Bagdad vom Pentagon gestoppt. Der letzte Flüchtlingstreck wird gnadenlos von US - Bombern niedergemacht. Eine Szene, die sich im Film wiederfindet.

Anthony Swofford (Jake GYLLENHAAL) wartet auf seinen Einsatz an der Front. Von dem jungen Mann erfährt der Zuschauer wenig. Mit Politik scheint er nichts am Hut zu haben, seine Herkunft und der Hintergrund interessiert niemanden. Alles bleibt diffus und im Dunkeln. Swoff ist ein Nobody. Und lebt mit seinen Kameraden das Leben in der Wüste, Sie vergnügen sich mit Golf. Und für Journalisten spielen sie mit Gasmasken Football. Swoff wird zum Scharfschützen ausgebildet. Sie exerzieren auf einem imaginären Kasernenhof, führen uninteressante Unterhaltungen, masturbieren und warten auf ihren Einsatz. Nach zeitraubendem Warten kommt der Marschbefehl. Die Republikanische Garde soll in die Zange genommen werden.

„Jarhead“ (Totkopf) hat im Vorfeld alle Komplimente bekommen, die ein vermeintlicher (Anti-)Kriegsfilm bekommen kann. Wohl auch deshalb, weil sein Regisseur Sam MENDE („American Beauty“, 1999, „Road to Perdition“, 2002) heißt. Das macht es nicht einfacher, hinter einen Film zu sehen, der das nicht hält, was er verspricht. Und um die Vokabel „belanglos“ zu vermeiden, muss genauer hingesehen werden. Soll „Jarhead“ eine schonungslose Abrechnung mit dem Krieg sein, mit der Tötungsmaschine der Moderne schlechthin? Die Bilder, die MENDE streut, sind bekannt. Zwar sind sie im Detail alle anders. Doch COPPOLA, KUBRICK und auch Terrence MALICK („Der schmale Grat“, 1998) warteten mit Bebilderungen auf, die unerreichbar sind und bahnbrechend waren. Brennende Ölfelder als Allegorie, die bei MENDE für Dunkelheit und Finsternis stehen könnten, erscheinen somit einmal mehr als abgegriffen.

Überhaupt ist sein Bilderreservoir seltsam: ein Sonnenuntergang, dann wieder die weite Wüste, farbtrunkene Bilder mit brennenden Ölfeldern im Hintergrund. Dazu alles noch seltsam flimmernd. Sinn macht das nicht. Erhellend ist es auch nicht. Und eine weitere Frage drängt sich auf: wird der Zuschauer nach zig Vietnam- und Kriegsfilmen eigentlich emotional noch berührt? Sackgassen über Sackgassen! Die inneren Konflikte der Soldaten sind hausgemacht, so der Eindruck, der entsteht. Wirkliche Tragödien waren in „The Deer Hunter“ einfühlsamer und schonungsloser dargestellt. Das, was also seit Jahren Kriegsneurose genannt wird, wirkt hier eher peinlich. Als ein Kamerad den Kollegen ein Video - Tape mit diesem Film zeigen will, befindet sich seine Frau kopulierend mit einem Nachbarn darauf: tränenrührig!

Und immer diese Aufnahmen der brennenden Ölquellen. Öl- und Feuerfontänen. Das filmt MENDE gerne. Vermatschter Sand, verschmutze Kleidung der Soldaten, Ölregen. Hängt die Welt am Öl? Sollte das eine zentrale (politische) Aussage sein? Sie würde als Grundidee völlig in die Irre führen; denn sie gibt es in diesem Film nicht. Dafür fehlt ihr jeglicher Hintergrund. Bliebe noch der Hinweis auf einen möglichen intellektuellen Schub von „Jarhead“. Damit tut sich MENDE ebenfalls sehr schwer. Swofford liest CAMUS, der sich gar nicht als Stichwortgeber eignet; denn der Intellekt ist hier nicht gefragt. Und den Gegner kann man kaum mit einem durch den Wüstensand gezogenen Autoren beeindrucken. Die Gefühlswelt mit Drill und Drangsalisierung verpufft somit zur Anekdote, was seit „Full Metal Jacket“ aus dem Kino nicht mehr wegzudenken ist.

Fazit:

Der Film entlässt den Zuschauer als gespaltenes Wesen. Aus der Sicht eines Davongekommenen, der nicht einen einzigen Schuss abzugeben brauchte, wird er jeden Pazifisten begeistern können. Der andere Teil ringt mit einer anderen Darstellung; denn dort, wo es den Trend im Kino gibt, die Psychologie des eigenen Inneren darstellen zu müssen, bleibt Jarhead belanglos. Selbst der Selbstekel und das unglaubliche Staunen darüber, dass die Truppe abgezogen wird, ist nur noch Nostalgie.

Dietmar Kesten 9.1.06 15:31