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Marie Antoinette

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Ambitioniertes Kino Filmstudentin 7.11.06 19:07

Marie Antoinette ist eine junge Prinzessin, welche den französischen Thronerben ehelicht. Ein Mädchen, das eine große Verantwortung tragen muss. Eine einsame Frau, welche von ihrem Ehemann vernachlässigt und vom Hofstaat kritisch beäugt wird. Eine lebenshungrige Königin, die in Traumwelten flüchtet. Und irgendwie sieht sie aus wie die sympathische Kristen Dunst.

Autorenfilmerin Sofia Coppola hat einen neuen und sehr eigenen Zugang zu einer umstrittenen Frauenfigur gefunden. Eine mitunter sehr zeitgenössische und kontroverse Interpretation.
Die Kritiker in Cannes wurden zwangsläufig polarisiert. Dennoch wurde „Marie Antoinette“ mit dem Cinema Prize of the French National Education System ausgezeichnet und mit einer Nominierung für die Goldene Palme geehrt. Und das zurecht !

Sofia Coppolas „Marie Antoinette“ ist fast schon ein impressionistisches „Kunstwerk“. Ohne dieses „Kunstwerk“ als gelungen oder nicht gelungen werten zu wollen. Eine Gegenbewegung zum Sachlichen und Natürlichen.
Coppola erfasst ihre Protagonistin nicht in einer inhaltlichen Bedeutung, sondern aus einem abstrakten und suggestiven Blickwinkel heraus. Ihr Film erfüllt keinen Bildungsauftrag. Und möchte dies auch gar nicht.
Dem Zuschauer eröffnet sich damit natürlich ein vieldeutiger Rahmen. Allerdings lassen sich viele Aspekte klar und logisch deuten. Und zwar deshalb, weil Sofia Coppola eine Regisseurin ist, die sehr viel über ihre persönlichen Intentionen erzählt. Und deren typische Motive auch in diesem Film nur zu deutlich zu erkennen sind.
Coppolas Marie Antoinette ist ein heranwachsendes Mädchen in einer fremden und eigentümlichen Lebenswelt. Das bizarre Versaille, das Coppola inszeniert wird zu einem Sinnbild der Entfremdung. Ähnlich wie das seltsam anmutende Tokio in „Lost in Translation“.
Auch in „Marie Antoinette“ spielt die Einsamkeit eine wichtige Rolle. Die Einsamkeit ist einer der Gründe, weshalb die Heldin in ihre Traumwelten flüchtet.
Die Traumwelten werden zu einer Innenansicht der Königin. Zumindest so, wie Sofia Coppola es sieht und empfindet.
Da dies eine moderne Sichtweise ist, ist der moderne Soundtrack nur konsequent und im Kontext sehr wirkungsvoll.

Ferner verzichtet Coppola darauf, die Königin und ihre Welt gradlinig erklären zu wollen. Die Charaktere und ihre Beziehungen werden somit nie plastisch. Sie erschließen sich aber im Ansatz über Andeutungen und flüchtige Schlüsselszenen.
Coppola bricht bewusst mit Erzählkonventionen. Dramaturgisch gesteigerte Eröffnungen werden nicht aufgelöst. Die Kamera schwelgt in Momenten, die nicht immer wichtig erscheinen. Gelegentlich ist ihre Montage sehr elliptisch.
Damit verliert auch der Zuschauer zunehmend den Boden unter den Füssen, taucht ab in einen stimmungsreichen und poetischen Bilderrausch. Verliert vor allem das Gefühl für Zeit und Raum.
Damit wird die Identifikation mit Marie Antoinettes Verlorenheit gefördert, gleichzeitig erhält die Geschichte der verzweifelten und missverstandenen Frau auch eine zeitlose Allgemeingültigkeit.
Sofia Coppola selbst weiß nur zu genau, was es heißt, ebenso wie ihre Heldin in einer öffentlichen und exzentrischen Welt aufzuwachsen. Und sie erkennt sich in ihrer Heldin wieder.

„Marie Antoinette“ ist letztendlich ein durchwegs melancholischer Film. Selbst dann, wenn Humor und Ironie dominieren.
Diese Atmosphäre wird von einer distanzierten Kameraarbeit unterstrichen, welche das Geschehen geduldig, manchmal sogar willkürlich, beobachtet. Dabei aber immer sehr präzise.
Die Originalschauplätze werden mit gelegentlich wahnwitzig detailreichen Ausstattungselementen komponiert, was ebenfalls ein seltsames und realitätsfernes Gefühl erzeugt.
Und dass politische Fakten und historische Eckdaten in diesem irrealen Universum nicht existieren, ist schließlich nur zu verständlich.

„Marie Antoinette“ ist eine ganz persönliche Vision der französischen Monarchin. Und darin liegt die Stärke dieses Filmes. Sofia Coppola hat das Medium Film genutzt, um sich radikal eigenwillig und subjektiv mitzuteilen. Es ist ihr ganz eigener Film, der von ihrer Seele und ihrer Wirklichkeit getragen wird. Im Grunde ein Plädoyer für künstlerische Freiheiten. Und damit ein Phänomen, das es so nur selten im Kino zu bewundern gibt.
Weder Historienkino, noch eine Charakterstudie. Höchstens ein innovativer Kostümfilm, der das Gestern und das Heute verdichtet. Und neues Leben in ein altes Genre haucht.
Natürlich kann „Marie Antoinette“ aber auch zum individuellen Film des Zuschauers werden, weil ein riesiger Interpretationsraum gegeben ist.

Den Film zu werten, erscheint in diesem Zusammenhang fast unmöglich. Zu stark entzieht sich das mutige und freche Werk objektivierbaren Kriterien.
Trotzdem sind zumindest Kameraarbeit und Kostüme eindeutig brillant. Und Kirsten Dunst verbindet ihre unverwechselbare Natürlichkeit mit nuanciertem Spiel, in dem sich Traurigkeit, Lebenslust, Sehnsucht und Tiefgründigkeit flüssig vereinen.
Sie überzeugt sowohl als junges Mädchen, wie auch als erwachsene Frau in den letzten Szenen des Filmes.
Die weibliche Besetzung ist insgesamt ausdrucksstärker als die männlichen Darsteller. Was in einem solch feminin geprägten Film nicht weiter stört.
Herauszuheben neben Kirsten Dunst sind vor allem Judy Davis als Comtesse de Noailles, Marianne Faithfull als Maria Teresa und eine grandiose Asia Argento als Madame du Barry !

Zusammengenommen ist "Marie Antoinette" erneut magisches und exotisches Kino einer Ausnahmeregisseurin.

Filmstudentin 7.11.06 19:07