filmz.de
Closed

Pingpong

[ Info ] [ Links ] [ Kommentare ] [ Kritik ]
Swimmingpool
von Ansgar Thiele

Sommer ‘05 in Sachsen-Anhalt. Paul, dessen Vater sich das Leben genommen hat, taucht unangemeldet bei seinen Verwandten auf. Bei der Beerdigung hatten sie angeboten, er könne jederzeit kommen, wenn es ihm zu viel werde. Das Haus kennt er aus seiner Kindheit. Aber längst ist man sich fremd geworden. Entsprechend kühl ist der Empfang. Die Ankunft des 16jährigen stört ganz offensichtlich in der selbst gewählten Isolation von Einfamilienhaus und Garten. Wie sich der familiäre Mikrokosmos von Robert, dem gleichaltrigen Cousin, der sich auf die Aufnahmeprüfung für das Klavierstudium vorbereitet, Anna, der jugendlich wirkenden Mutter, und Stefan, dem meist abwesenden Vater, in der Woche seines Aufenthalts entwickelt, davon handelt der Film.

Nach Falscher Bekenner, Lucy, Sehnsucht (um einige der gelungensten Beispiele zu nennen) ist Pingpong ein weiterer dieser sehr konzentrierten, ästhetisch reflektierten, genau beobachtenden Filme, die inzwischen zum Markenzeichen einer wichtigen Gruppe jüngerer deutscher Regisseur/innen geworden sind (mal sehen, ob sie dabei bleiben oder in ihren 2. und 3. Filmen etwas ganz Anderes machen, herumexperimentieren, politischer werden...). Gerade die französische Kritik schätzt bekanntermaßen diese als „nouvelle vague allemande“ oder „Berliner Schule“ vermarkteten Jungfilmer/innen. Dennoch ist es alles andere als selbstverständlich, dass ein mit Minibudget produzierter Abschlussfilm (580.000 Euro, jeder Tatort kostet mehr als doppelt so viel) zum Filmfestival nach Cannes eingeladen wird.

Aber für einen Erstlingswerk ist Pingpong dann auch ziemlich gekonnt. Die Irritation, die Paul auslöst, die Entwicklung der Beziehungen zu seinen Gastgebern, bis die familiäre Balance kippt, sind subtil ausgearbeitet. Soziale Dynamik und Machtverhältnisse werden an einzelnen Gegenständen, Standardsituationen und Verhaltensweisen vorgeführt. Das gemeinsame Essen am Gartentisch, das Ausführen des Hundes, das Rauchverbot, das Klavierspiel, das Tischtennisspiel, das Joggen, der Pool, den Paul fliest. Der Regisseur Matthias Luthardt hat ein Auge für Konventionen, für Stellvertreterbeziehungen, indirekte Formen der Kommunikation – und umso auffälligere Einbrüche von Direktheit. In den Gegenständen und Räumen des Films konkretisieren sich aber nicht nur soziale und dramaturgische Funktionen. Haus, Garten, Wald, der halbfertige Swimmingpool und der gekippte See, der Hund, den Anna zärtlich zu lieben scheint, und die tiefe Wunde, die Paul sich bei der Gartenarbeit zuzieht, gewinnen darüber hinaus symbolische Valenz.

Dafür, dass dramaturgische und inszenatorische Konzentration wie beiläufig bleiben kann, nicht zur Erstarrung in intellektueller Konstruktion führt, sorgt die Schauspielerführung. Besonders sehenswert Sebastian Urzendowsky, in dessen Darstellung des Paul das Changieren zwischen Jugend und Erwachsenenalter überzeugend deutlich wird. Auch das lakonische Spiel von Clemens Berg – der sich wie der von ihm verkörperte Robert auf eine Karriere als Pianist vorbereitet – passt hier gut. Ein Höhepunkt die (in einer einzigen Einstellung gefilmte) Aussprache zwischen Paul und Robert im Campingzelt. Marion Mitterhammer (Anna), die manchmal wie eine jüngere Schwester von Isabelle Huppert wirkt, gelingt die Spannung zwischen Mutterrolle, Freundschaft und Erotik.

Das Wechselspiel von Intimität und Gruppenbeziehung, Distanz, Diskretion und Transgression ist filmisch in einem fließenden Wechsel der Einstellungsgrößen umgesetzt (ohne die für jüngere deutsche Filme fast schon charakteristische Bevorzugung des Nahbereichs) und in einen systematischen Einsatz auch auf- und untersichtiger Aufnahmen (aus dem leeren Pool hinauf, auf den Hund der Familie hinab). Eher längere, ruhige bis statische Einstellungen dominieren, aber auch gleitende, langsame Kamerabewegung. Die Farbgestaltung unterstützt den Aufbau einer geschlossenen fiktionalen Welt. Grün-, Blau- und Grautöne herrschen vor. Bis hin zur Kleidung der Personen setzt Farbdramaturgie dezente Akzente.

Gerade ästhetische und inszenatorische Genauigkeit lassen leicht den Eindruck der Kälte entstehen – der als Vorwurf hierzulande üblicher sein dürfte als jenseits des Rheins. Und in der Tat mag man Pingpong, bei allem dramaturgischen und schauspielerischen Geschick, psychologische Defizite vorwerfen. Was eigentlich die anscheinend wechselseitige Faszination Pauls und Annas ausmacht, bleibt offen. Gerade um diese Offenheit, um Schwebezustände und Übergänge aber geht es dem Film auch. Die Musik von Matthias Petsche unterstreicht diese Stimmung, bis am Ende sein am aktuellen französischen Chanson orientierter Song „Au demeurant“ nicht nur frankophiles (und französisches) Publikum für Pingpong einnehmen dürfte.