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Bowling for Columbine

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DIE BARBAREI BLEIBT Dietmar Kesten 4.10.04 17:26

BOWLING FOR COLUMBINE

DIE BARBAREI BLEIBT

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN 10. AUGUST 2004.

Flüsse fließen stets ins Meer zurück, und die kapitalistische Globalisierung
schlägt auf ihr Zentrum zurück, auf das Zentrum ihres Zentrums.
Wenn alles globalisiert ist, die Märkte nie schlafen und die westlichen
Waren bis in die letzte Ecke der Welt vordringen, wie kann man
sich dann wundern, dass auch Krieg und Terror niemanden
verschonen?
Versteht man diese Botschaft, dann hat man
„Bowling for Columbine“, 2002) von Michael MOORE verstanden.
Die Liste der Verfehlungen amerikanischer Präsidenten ist lang:
ROOSEVELT und Pearl HARBOUR, KENNEDY, JOHNSON,
NIXON und Vietnam, BUSH und der Irak und CLINTON und Jugoslawien,
BUSH und der Irak. Und es ist nicht nur das waffenvernarrte Amerika,
die Massaker an Schulen, Universitäten, in Ämtern, aus fahrenden
Autos heraus, mit dem Gewehr im Hintergrund das uns die
Schweißperlen ins Gesicht treibt, sondern es ist das latente
Gewaltmonopol des Staates, dass uns irgendwo immer zu Haupt- oder
Nebenschuldigen von Kriegen macht.

Der Film „Bowling for Columbine“ ist nach dem 11. September 2001
entstanden. Ein Datum, das für immer unauslöschbar sein wird.
Deshalb mag es notwendig sein, sich nicht nur daran zu erinnern, dass
der Terrorismus weltweit geächtet werden muss, sondern auch daran,
dass Waffen und die Menschen, die sie ohne Skrupel benutzen, den
Gigantismus des Kapitalismus ausmachen.
So furchtbar die Attentate in New York auch waren, so zeigen doch eines
deutlich: den unbedingten Willen der Attentäter ihre Waffen gegen
unschuldige Menschen einzusetzen.
Die Waffen fordern das größtmögliche Gemetzel geradezu heraus.
Dabei ist relativ unerheblich welche das sind, wann und wie sie
eingesetzt werden. Es geht bei der Anwendung nur darum, dass
so viel Leben wie möglich genommen wird.
Mit ihnen, oder besser, an ihrem Erfolg wird die Zahl der erlegten
Feinde gemessen.
Die weltweite Verbreitung idiotischer Videogams und von
Katastrophen- und Science-Fiction-Filmen, offenbar die einzige
Möglichkeit, um die Leere der Warengesellschaft auszufüllen,
musste logisch den Versuch erzeugen, die Spielchen mit Waffen
in Wirklichkeit umzusetzen.

Die Paranoia der Weltgesellschaft erzeugt die wahnwitzige
Reise in den Gau.
Und Amerika war das passiert, was die weitaus meisten Länder in
den letzten sechzig Jahren kennen gelernt haben, von Guatemala
bis Kambodscha, von Serbien bis Vietnam, vom Irak bis Biafra,
um vom Zweiten Weltkrieg ganz zu schweigen.
Alle Toten verdienen Respekt, und es sind sicher nicht die Bushs
und Putins, die glauben machen können, unschuldige Tote rührten
sie zu Tränen.
Aber die Erschütterung in aller Welt über die Opfer im World Trade Center
erinnert ein wenig an die Sympathiewellen für Lady Diana oder andere
Personen aus der Regenbogenpresse, während das untergegangene
Immigrantenschiff und die bombardierte Flüchtlingslager in
Palästina niemanden interessieren.

Ein Volk unter Waffen.
Die Waffenlobby in Amerika hat durch zig Gesetze erreicht, dass der
Handel und der Verkauf von Waffen durch Clinton zwar eingeschränkt
wurde, aber jetzt, wo der Vertrag mit ihr nicht verlängert wurde,
darf es wieder zur Sache gehen. Man kann zum Schießstand mit dem
MG anreisen, mit Colts und Schnellfeuerwaffen herumballen ohne dass
das jemanden besonders tangiert.
Man kann sich frei Waffen beschaffen und sie auch einsetzen.
Fast jeder amerikanische Haushalt verfügt über Waffen, die auch
für Heranwachsende frei zugänglich sind. Wen wundert es da, dass
hier dem Patriotismus mit Waffengewalt Nachdruck verliehen wird?

Der Fundamentalismus des Marktes wird vor Kriegen nicht halt
machen, was die jüngste Vergangenheit drastisch verdeutliche.
Michael MOORE hat nur gezeigt, dass selbst der Dümmste sich
ungehindert Waffen beschaffen kann.
Doch das eigentliche Problem geht viel tiefer.
Je mehr sich die Produktivkräfte entfalten, um je unvernünftiger werden
sie. Ihre entfremdete Gestalt nimmt heute die Züge an, die MOORE
allerdings auch nur an der Oberfläche beschreibt.
Der Kapitalismus setzt sie frei und kann sie sich ungehindert ausdehnen
lassen.
Das konnte auch dazu führen, dass die Organisatoren des Attentats
auf sie setzten; denn sie bedienten sich dieser „entfremdeten Gestalten“
in Form neuartiger Waffen: Computer und Internet, Steuerparadiese und Flugsimulatoren, Satellitentelephone und Börsenspekulation.
Der kleine Unterschied war allerdings der, dass sie die lasergesteuerte
Bombe durch Teppichmesser ersetzten.
Die Wirkung blieb die gleiche: diese Waffen erzeugten das gleiche Leid.
Es gehört zum Wesen des industriellen Kapitalismus, dass er nicht
danach fragt: ob und wann, sondern jetzt und hier.

„Bowling for Columbine“ ist insofern ein deutlicher Hinweis darauf, worauf
wir uns in der Zukunft einzustellen haben.
Sie wird weiter Monster produzieren, die mit Hilfe des unüberschaubaren
gewordenen Waffenmarktes ihre Kriege führen, die sie überall auf
der Welt und zu jeder Zeit führen können.
Niemand weiß, welche schrecklichen Gemetzel im Dunkeln noch
vorbereitet werden.
Das ist die eigentliche Botschaft von Michael MOORE.
Doch ohne die Allgegenwart der Medien geht auch das nicht. Wer
weiß: vielleicht hätte es die Attentate des 11. September ohne sie
gar nicht gegeben?
Einer der Stichwortgeber der kapitalistischen Moderne,
Jeremy BENTHAM, verkündete als Ziel „das größtmögliche Glück
der größtmöglichen Zahl“. Das Endergebnis dieser mechanistischen
Vorstellung ist dann der kalt kalkulierte Versuch, das größtmögliche
Unglück der größtmöglichen Zahl zu erzeugen.
Das wird ohne Waffen nicht möglich sein. Sie sind wie ein Moloch,
der alles umspannt.
Als die USA im April 1999 ihre Angriffe auf den Kosovo fliegen,
hatte der Waffenfetischismus seine größtmögliche Wirkung
erzielt.
Er konnte im nachfolgenden Jahrzehnt noch von allen Seiten,
die Krieg führen wollten, übertrumpft werden.
Heute, nach dem Afghanistan-Feldzug, mit den verheerenden
Angriffen auf die Zentren der Weltgesellschaf und mit dem
Irak-Krieg wird einmal mehr deutlich:

„Es kommen härtere Tage. Die auf Widerruf gestundete
Zeit wird sichtbar am Horizont.“ (Ingeborg Bachmann)

Dietmar Kesten 4.10.04 17:26