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The Others

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GESCHÄFTE MIT DER GÄNSEHAUT. Dietmar Kesten 23.1.05 11:33

THE OTHERS

GESCHÄFTE MIT DER GÄNSEHAUT

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 23. JANUAR 2005.

Auf der Kanalinsel Jersey lebt Grace (Nicole KIDMAN).
1945 ist die letzte Schlacht des zweiten Weltkrieges
geschlagen. Ihr Ehemann ist nicht von der Front zurückgekehrt.
Völlig in sich eingeschlossen, isoliert, einsam und verlassen
lebt die strenggläubige Frau in einem viktorianischen Anwesen
mit ihren beiden Kindern, die sie strikt nach religiösen
Prinzipien erzieht.
Anne (Alakina MANN) und Nicholas (James BENTLEY) leiden
an einer gefährlichen Allergie. Sie dürfen nie dem
Sonnenlicht ausgesetzt werden.
Als drei neue Bedienstete bei Grace vorstellig werden, weil
die alten Dienstboten sich nachts abgesetzt hatten, gelten
für sie die gleichen drei Regeln, die stets befolgt werden
müssen: das Haus muss immer in Halbdunkel
getaucht sein, immer müssen die Vorhänge zugezogen
bleiben, immer muss die letzte Tür verschlossen und
verriegelt werden, bevor die nächste geöffnet werden
darf.
Doch der Schein trügt. Die Ordnung und das Festhalten an
kanonisierten Prinzipien wird nachhaltig erschüttert.
Grace und ihre Kinder werden mit ‚Wahrheiten’ konfrontiert,
die sie sich nie hätten träumen lassen.

Zu jeder Zeit lässt der Film keine Möglichkeit aus, uns daran
zu erinnern, das wir samt und sonders dekadent, morbide
und ein vom Aussterben gezeichnetes Geschlecht sind.
Die neurotische Anziehungskraft des auf Breitwände
projizierten Grauens, würde ein Psychoanalytiker vermutlich
als verdrängte Aggression interpretieren.
Wenn das stimmt, dann leben wir auf einem nicht ausgebrochenen
Vulkan, der sich zusätzlich noch durch sadistische Triebe
definiert.
„The Others“ (Regie: Alejandro AMENABAR) gehört zu der
Kategorie des Horror- und Gruselfilms, die mit listigen Warnungen
verbunden sind. Doch schaut man dem Kinovolk und dem
Gruselfilm aufs Maul, dann wird ziemlich schnell klar, dass
kein Wort davon wahr ist.

Die Geschichte liefert einen Stoff für das Übersinnliche,
Transzendenz und Unbewusste mit einer gewissen
Doppelbödigkeit.
Der Film greift auf einen einfachen Trick zurück: er versieht
die menschliche Seele mit einer Art doppelten Boden, um
später, ohne weitere größere Mühe, alle zur Lösungen
erforderlichen Argumente aus diesem Geheimfach
hervorzuzaubern.
Die nackte Angst hat offenbar einen hohen Kurswert erhalten,
und überall sind die Geschäfte mit der Gänsehaut zum
Kinorenner geworden. Die Geschäftslage ist damit solide.
Die Angst als solche ist ja ein Negativum, ein Relikt aus
dem Mittelalter, der Umdüsterung der Vernunft. Und die
Austreibung des Dämons aus der menschlichen Sphäre ist
so alt wie die Menschheit selbst.
In den Kindermärchen z. B. führen Riesen, Hexen, Zwerge,
Monster und Zaubersprüche noch ein Schattendasein.
Und erst mit der Domestizierung des Unheimlichen umschleicht
uns das Gefühl der schmählichen Niederlage.
Die Technik hat die alten Geister stetig verdrängt. In anderer
Form taucht der alte Feind jedoch wieder auf.
Sie projiziert sie nun überlebensgroß auf die Leinwand.
Die ‚Shocker’ Freunde geben ihr Geld dafür her um für
zwei Stunden Angst durchzumachen. Das ist seltsam.
Die alten Geister treten im neuen Gewand auf. Und sie
widerlegen scheinbar all unsere Illusionen, die wir haben
oder nicht haben.
Die Gebrüder GRIMM wussten es schon: wer sich nicht
fürchten kann, der muss es lernen- wenn er Mensch bleiben
will.
Man kann sich nicht in zwei Hälften teilen. Wäre die eine
nur dem Grusel ausgesetzt, dann würde die andere, die
wissenschaftliche und technisierte ständig dagegen
rebellieren.

Gibt es also den Grusel-Soll, der seit MURNAU
und seinem Film „Nosferatu. Eine Symphonie des
Grauens“ (1921/22) durch das Kino zieht?
Vom modernen Menschen wird dieser allem Anschein noch
unterfüttert, auch dann, wenn man sich ständig mit
Krankheit, Schmerzen und Angst einlassen muss.
Der Ausgleich, den die Kulturindustrie geschaffen hat,
ist zwangsläufig darauf bedacht, ein gewisses Gleichgewicht
zu erzielen, wo einerseits die dumpfe absonderliche
Geistergeschichte sich selbst ad absurdum führt, doch
anderseits in Filmen wie „Shining“ (Regie: Stanley KUBRICK, 1980)
oder „The Sixth Sense“ (Regie: M. Night SHYAMALAN, 1999)
eine muntere Auferstehung feiern darf.
Dieses eigenartige aufbrechende Bedürfnis, wenigstens die
Surrogate des Grusels zu schmecken, hat der ‚Shocker’ unsere
Tage begriffen. Und die Filmindustrie strickt daran mit Freuden.
Das Kino wird zu einer Art Sauna, wo der Mensch der
Moderne den Virus des falsch verstandenen
Fortschrittsglaubens auszuschwitzen gedenkt.

„The Others“ geht mit diesen ‚Erkenntnissen’ ständig
schwanger. Verlassene Zimmer, ein verlassenes Haus,
Flucht, Phantasie- ein ständiger Gewaltakt der Psyche,
die diese Klaustrophobie ständig verarbeiten muss.
Schuld und Gehorsam verstärken nur noch die
psychotischen Zustände. Die Flucht in die Übersinnlichkeit,
in Esoterik und Geisterglauben, zu ‚den Anderen’ ist
fortwährende Selbsttäuschung und Jenseitshoffnung.
Wenn Nicholas sich unter die Bettedecke zwingt, so kommt
er dem infantilen Wunschdenken nach, dass wir uns
scheinbar in existentiellen Grundsituationen befinden,
die aufgehoben werden müssen.
Auch Grace fürchtet sich und ist wie besessen von der
scheinbaren Präsenz anderer ‚Wesen’.
‚Die Anderen’, im Film nicht näher definiert, mögen die
Abbilder der Unsterblichkeit sein, mit denen der Film
ständig hantiert.
Das macht ihn über weite Strecken zu einem Weltbild,
dem der aufgeklärte Mensch nur sehr kritisch gegenüber
stehen kann, es auch ablehnen muss.

Ein Toter ist ein Mensch, der nicht mehr ist.
Grace stößt auf bei der Suche nach den ‚Unsterblichen’
auf Fotografien von Verstorbenen. Die filmische Wende ist
eingeleitet.
Wundersam tritt der Todgeglaubte Mann aus dem Nebel ins
Licht. Die Präsenz des ‚Weiterlebens’ ist damit
gesichert.
Die tröstliche Verheißung trifft uns. Es scheint noch was
‚danach’ zu geben. Doch da der Tod das Ende unseres
Lebens bedeutet, dürfte es keinen großen Sinn machen,
vom ‚Weiterleben’ über sein Eintreten hinaus zu reden.
Doch im Grusel ist es möglich.
Da wir in einem gänzlich uneingeschränkten Sinne sterben
werden, ist auch die Hoffnung auf ‚Unsterblichkeit’, andere
Lebensformen, Offenbarungen aus dem Reich der Toten,
Geisterglauben und ähnliches als Selbsttäuschung zu
beurteilen.
„The Others“ zieht trotzdem alle Register, die noch im
Hinterstübchen der menschlichen Gedanken ihr Dasein
fristen.
Die Erkenntnistheorie hält für diese ungewöhnlichen
Offenbarungen, die der Film parat hält, keinen Platz frei.
Den religiösen oder esoterischen Verheißungen zu vertrauen,
hieße einem Abbild ohne Original zu folgen.
In unserer Welt haben transzendente Fundamente keinen
Platz mehr.
Und da wir in dieser Welt mit dem Tod aus ihr herausfallen,
in ein Nichts, so kann man das als rationale Betrachtung
ansehen.
Da mögen auch keine spiritistischen Sitzungen helfen, die
im Film demonstrativ als rationale Kerne verkauft werden
könnten; denn selbst das Vertraute wird unheimlich.
Obwohl es von ständiger Trauer und Unausweichlichkeit
überlagert scheint, ist das Konglomerat nur ein Abklatsch
aus Albtraum und falscher Wahrnehmung.

Das Erwachen aus einem Albtraum und die Suche nach
einer verborgenen Schuld und der Überwindung ist
in „The Others“ zwar eine Behauptung, kann aber als
Interpretation herhalten, um den Bruch zu entschuldigen.
Die beglückend empfundene Steigerung in der Klimax,
die somit sicher gestellte Triebberuhigung ist entweder
ahnungslose Gefügigkeit oder Selbstzweck.
Das Publikum läuft in die Irre und wird mit allen denkbaren
Windungen abgespeist.
Den konkreten Gewinn streicht die Popularität von
Nicole KIDMAN ein. Die Fortdauer des erträglichen
Geschäfts ist durch ihren Einsatz gewährleistet.
Man folgt ihr und vergisst, das wir Lebensgesetzen
unserer Art unterliegen.
Andere Ereignisse sind für uns bedeutungslos. Eine
rehabilitierende Erkenntnis kann „The Others“ nicht
liefern. Die Flucht in eine Wunschvorstellung erscheint
nicht zweckmäßig oder einleuchtend zu sein.

Fazit:

Viel wichtiger wäre es, zu erfahren, was passiert,
wenn unsere Art auszusterben im Begriff wäre?
Diese Art von Filmen sind geschlagen mit kollektiver
Blindheit. Mit der bewussten Zumutung der Angst
öffnet er auch der Übersinnlichkeit alle Schleusen.

Dietmar Kesten 23.1.05 11:33