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The Good Thief

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The Good Thief Dietmar Kesten 17.12.03 09:51

THE GOOD THIEF

EIN UNBEKANNTES GEMÄLDE

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 17. 12. 2003.

Ein Gauner mit Niveau, ein Spieler mit einer Vorliebe für Kunst, Rennpferde
und schöne Frauen, plant ein letztes großes Ding.
Beim Beutezug gegen das Casino von Monte Carlo an der französischen
Riviera interessiert er sich allerdings nicht nur für das Geld, sondern ebenso
für die wertvollen Gemälde seiner japanischen Besitzer.
Worum geht es ihm und seinem Team tatsächlich? Welcher Schein trügt
hier?
Der Film bietet alles, was man von einem ‚Capper-Movie’ verlangen kann.
Jeder will hier jedem seine Grenzen in Sachen Gaunerei aufzeigen.
Doch die Höhepunkte des Streifens, der ein Remake des MELVILLE Klassikers
„Drei Uhr Nachts nachts“ (1956) ist, sind ohne Zweifel die großartigen
Darsteller, allen voran Nick NOLTE, der Bob Montagnet spielt, Raul
(Gerard DARMON), Vladimir (Emir KUSTURICA), der Polizist Roger
(Tcheky KARYO) und Anne (Nutsa KUKHIANIDZE) und die majestätische
Kameraarbeit.

Überhaupt scheint sie einem unbekannten Gemälde zu gleichen, die
sich perfekt den Rhythmen des Films, den szenischen Variationen
anpasst. Sie geht über die eingeschliffenen Formen des Kinos hinaus.
Was andere opfern, um auf dem Markt der Bilder konkurrenzfähig zu
bleiben, das verdichtet sie enorm. Und sie sprengt den vorgegebenen
Rahmen, der sich bisher immer auf eine rührende Weise dem
Suggestionskino unserer Zeit verpflichtet hat.
Denkt man etwa an „Ocean’s Eleven“ (Regie: Steven SODERBERGH, 2002),
oder in den zurückliegenden Wochen an „The Italian Job“ (Regie: Gary GRAY),
dann wird im Gegensatz zu der dortigen Sprachgewalt der Darsteller, hier jede
Figur der Geschichte auf eine seltsame Art perfekt und anmutend ruhig erfasst.
Weil es im Kino auch um Einstellungen der Bilder geht, um Bewegungen
und Zeichen, so ist die Kamera in „The Good Thief“ der Schlüssel zum
Verständnis des Films. Und die Kamera entlarvt sie alle miteinander.

Neil JORDAN („Zeit der Wölfe“, 1984, „Mona Lisa“, 1986,
„The Crying Game“, 1992, „Interview mit einem Vampir“, 1994,
„Michael Collins“, 1996, „Das Ende einer Affäre“, 1999), gehört sicherlich
zu den interessantesten Regisseuren in Europa.
Das zeigt er auch mit der atmosphärisch dichten Geschichte.
JORDAN verlegt den Schauplatz des Geschehens, den MELVILLE noch
in Paris und Montmartre angesiedelt hatte, ins pittoreske Nizza und in die
pompöse Spielbank von Monte Carlo.
Ziemlich schnell wird klar, dass es Bob Montagnet nicht um einen klaren
Weg geht.
Er findet die Linien in einem Zickzack, die sich zufällig kreuzen und wieder
auseinanderstreben. Der Ort, an dem sie sich treffen, ist jene attraktive
Gegend, die mit zwielichtigen Gestalten, Huren, Zuhältern, verrauchten
Hinterzimmern, dunklen Bars, Dealern und einer mondänen Halbwelt seine
ständigen Begleiter sind.

Bob präsentiert sich in diesem wirren Durcheinander, wo jeder jeden
übers Ohr hauen will, als gekonnter Bösewicht mit Herz, der die Finten
ebenso beherrscht wie das Spiel mit den doppelten Böden.
Nick NOLTE („Tödliche Fragen“, 1990, „Herr der Gezeiten“, 1991,
„Kap der Angst“, 1991, „Lorenzos Öl“, 1992, „Nach eigenen Regeln“, 1996,
„Der schmale Grat“ 1998, „Hulk“, 2003) steht natürlich hier nicht für
eine moralische Botschaft, aber er offeriert dem Publikum seine ganze
Kunst: die raffiniert ausgedachte Intrige; denn es geht auch um Glanz,
Ruhm und Prestige.
Man ist hingezogen von Bob, zu der Figur, die er verkörpert. Er scheint
trotz seiner kriminellen Energie ohne Makel zu sein, er ist ruhig, geradezu
stoisch beseelt. Und er spielt mit einer Selbstverständlichkeit, Bodenständigkeit,
Schwere und Nonchalance, die einen eigentümlich gefangen nimmt.

Auf denkbar eigenwillige Weise arrangiert JORDAN die Geschichte seines
Helden.
Die Übertreibung, die Imagination, die Poesie und der Reichtum der
Phantasie sind es, die das Unternehmen, das Auftauchen der unterschiedlich
motivierten Widersacher, die Versuche die Pläne der anderen zu
durchkreuzen, zu einem großen Showdown, zu einer gigantischen Klimax,
in der die unterschiedlichen Handlungsstränge noch einmal zusammenlaufen
werden lassen.

Fazit: Wer weiß schon, worauf am Ende Bob aus war?
Waren es die prächtigen Geldbündel, die im Casino umgesetzt
werden? Bob scheint hinter allem her zu sein.
Das allein macht auch den Reiz des Films aus. Jedoch nicht nur: es ist die
außergewöhnliche Nebenbesetzung, der anmutende Soundtrack (u. a.
mit Musik von Leonhard COHEN, Johnny HOLLIDAY,
Jane BIRKIN & Serge GAINSBOURG) und die Montagen des
Cutters Tony LAWSON, die „The Good Thief“ zu einer perfekten
Wandmalerei machen.
Hier atmet man tief Südfrankreich. Man erfährt auch nebenbei etwas
von den großartigen französischen Filmemachern und ihrem eigenwilligen
und selbstverständlichen Realismus.
TROUFAUT, MALLE, GODARD und CHABROL hatten ihre Geschichten
effektvoll pointiert.
Neil JORDAN ist ihnen ebenbürtig.

Dietmar Kesten 17.12.03 09:51