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Match Point

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GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN Dietmar Kesten 9.1.06 15:25

MATCH PONT

GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 31. DEZEMBER 2005.

Woody ALLENs Filme gehören zur Filmkultur. Sie sind nicht nur einfache Kinoentspannung, bei der man wegtauchen kann, klüger, nachdenklicher, oder einsichtiger aus dem Kino herauskommt. ALLENs Filme können befähigen, sich mit
dem Schicksal auseinander zusetzen, mit Schuld, Vergebung, Glück und Unglück. Zum Jahresausklang macht sich der in der Zwischenzeit 70jährige ALLEN selbst ein nachträgliches Geburtstagsgeschenk. „Der Stadtneurotiker“ (1977), für den ALLEN drei Oscars erhielt, nimmt in „Match Point“ die intellektuelle Oberschicht aufs Korn. Doch wie immer, wäre es zu einfach, ALLEN in eine beliebige Ecke zu drücken. Seine Filme haben übergreifende Aussagen. Womöglich ist „Match Point“ also ein Film, der dem Individuum in der Mitte seiner Gefühle, seiner Bedürfnisse und seines Verstandes begegnet.

Der Film ist die Geschichte um den sozialen Aufstieg und Fall des Tennislehrers Chis Wilton (Jonathan RHYS - MEYERS), der sich, um in bessere Kreise zu gelangen, mit Tom Hewett (Matthew GOODE) anfreundet, der mit der erfolglosen Schauspielerin Nola Rice (Scarlett JOHANSSON) liiert ist. Toms Schwester Cloel (Emily MORTIMER), die Chris schöne Augen macht und ihn heiratet, verschafft ihm über ihren Vater einen hoch dotierten Manager - Posten. Alles scheint auf Wohlwollen, elterliche Zuneigung, Protektion und Wohlhaben hinauszulaufen. Bis zu dem Tag als Chris Nola kennen lernt. Beide fühlen sich zueinander hingezogen. Nola erwidert die Gefühle von Chris. Weil beide mit falschen Karten spielen, geht die Affäre solange gut, bis Nola von Chris schwanger wird. Chris sieht seine Ehe schon am Abgrund und trachtet ihr nach dem Leben: kühl, professionell, kalkuliert und durchtrieben.

Es fällt auf, dass ALLEN ein guter Beobachter seiner Umwelt ist und es versteht, aus einer zunächst möglicherweise grob angelegten Geschichte um Liebe und Verrat, ein fein vernetztes Räderwerk zu machen. Mit anderen Worten: er sieht in die Tiefen der menschlichen Psyche, in ihre Abgründe, die mit Irrungen, Verwirrungen und Notlagen
oft zum Stolperstein für Harmonie und Ausgefülltheit werden kann. Hier sind es die Affären, die den ehrgeizigen Plänen von Chris einen Strich durch die Rechnung machen. Sie mögen für die Protagonisten Abwechselung sein, Ausbruch aus dem Ehealltag und klettenhaften Beziehungen, aus krankhafter Unterwerfung, Demütigung, Stress, Künstlichkeit und falsch verstandener Liebe. Sie können belebend sein, tief traurig machen, wenn sie entdeckt, enträtselt und entschlüsselt werden; denn man betrügt und verrät: sich selbst und den anderen. Wie auch immer: es bleibt ein schaler Geschmack übrig.

ALLEN erzählt die Geschichte um Liebe, Gefühle, Verrat, Lifestyle und glamouröser Verliebtheit mit hintergründigem Humor und viel Sarkasmus. Der mit vielen Anspielungen und durchtriebenen Menschen durchzogene Film ist jedoch auch Gesellschaftsdramatik pur; denn es geht nicht nur um dekadente Kleinbürger, Aufsteiger/innen, sondern ALLEN hat einmal mehr das Thema Gleichgültigkeit und Grausamkeit im Blick. In „Match Point“ mit einem mehr als überraschenden Ende, bei dem selbst die (selbstgestellten) tödlichen Fallen im Plot immer noch nach dem Schuldigen suchen.

Das ist im Film nicht einfach zu durchschauen. Je wirkungsvoller sich die Auftritte von Chris, Nola, Tom oder Chloe gestalten, umso deutlicher wird, dass der raffinierte Selbstbetrug schon fast beängstigend wirkt. Denn „Match Point“ sieht genau hin: auf Charaktere, Biografien, Missgeschicke, Vordergründigkeiten, Hintergrundaktionen, Konfusionen und berechender Kalkulierbarkeit. Manchmal geräuscharm und cool, dann wieder mit Getöse und Ausbrüchen. Die Londoner Hochglanzbilder, stilvolle Galerien, mondäne Landsitze, Polopferde, Tontaubenschießen und kultivierten Wohnungen sind ebenso vom Feinsten wie die Darsteller. Überraschend ist, dass neben der glänzend aufgelegten Scarlett JOHANSSON, der eher unbekannte Jonathan RHYS - MEYERS sich bestens in Szene setzen kann. Das mag für die Zuschauer jene Saite in der Harfe sein, die zart angeschlagen, das ganze Instrument in Wallungen bringen kann.

ALLENs Film, als Gesellschaftssatire beginnend, endet in der (gesellschaftlichen) Tragödie, die schonungslos das aufdeckt, was sie ist: ein Zeiger der Zeit. Hinter der Fassade gleichen wir einem Museum, in dem wir als monströse Kreaturen nur hinter Glas aufbewahrt sind. Und darauf warten, durch die Schicksalsmomente, die uns ereilen, frei gelassen zu werden. Nur durch Glück oder Zufall kann diese Wiederbelebung beginnen. Und schon beginnt die Verwandlung.

Einen geraden Weg gibt es nicht. Man muss sich mit dem arrangieren, was vorgefunden wird. Und seine eigenen Perspektiven entwickeln. Das geht weit über „Match Point“ hinaus. Doch wenn der Ball auf der Netzkante tanzt, rüberhüpft oder ins eigene Feld fällt, weiß man, dass Glück oder Pech, Zufälligkeit oder Schicksal im Spiel war. Wenn ALLEN im Schlussbild die Handlung noch einmal Revue passieren lässt und der Täter seinem Opfer antwortet: „Manchmal sterben Unschuldige, um einem größeren Ziel Platz zu machen. Du warst nur Kollateralschaden“, dann ist das wie eine langsam abgefeuerte Kugel: oft trifft es die Falschen in einem aufreibenden Match, das sich Leben nennt.

Fazit:

Nicht nur wegen dieser Sätze ist der Film absolut sehenswert. Ein großartiges Stück Kino, das betroffen macht. „Folgt daraus, dass keiner weiß, was ihm alles blüht, ehe er tot ist, dass es am besten wäre, nie geboren zu sein.“ (Sophokles)

Dietmar Kesten 9.1.06 15:25