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Die Passion Christi

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FETISCH RELIGION

Zu den Hintergründen des Films
Antisemitismus im Neuen Testament
Kurzer Abriss zur Unerkennbarkeit des historischen Jesus
Das Kreuz mit dem Kreuz
Immer wenn der Hahn kräht...

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 10. MÄRZ 2004

Nachdem erste Vorwürfe laut geworden waren, GIBSON hätte in seinem Film „The Passion of the Christi“ strittige Stellen, die antisemitische Vorurteile bedienen würden, herausschneiden lassen, wird trotzdem die Frage nach einem Antisemitismus nicht verstummen. Jüdische Verbände und viele Theologen sehen die Gefahr, dass die Juden für die Kreuzigung verantwortlich gemacht werden könnten. Der Vorwurf des Antisemitismus tauchte erstmals auf, als die Amerikanische jüdische Liga ‚Anti-Defamation League’ (ADF) in den Besitz eines Drehbuch Entwurfs kam. Der nächste Schritt war die Einberufung einer Expertenkonferenz, die untersuchen sollte, was an diesen Vorwürfen stichhaltig ist. Die Theologin Paula FREDRIKSEN soll sich in der Zeitschrift „New Republic“ dahingehend geäußert haben, dass sie den Vorwurf des Antisemitismus für berechtigt hält. Der Film würde die „alten Juden-Stereotypen der Passionsgeschichte neu aufwärmen, die schon auf Hitlers Vernichtungspolitik vorausdeuteten“. (Zitiert nach: FAZ. Net vom 3. März 2004)

GIBSON hat bisher immer behauptet, dass er den Evangelien folgen würde. Unter diesen ist es die strittige Quelle Johannes, der die Verantwortung für die Kreuzigung auf die Hohenpriester fallen lässt: „Daraufhin wollte Pilatus ihn freilassen, aber die Juden schrien: wenn Du ihn freilässt, bist du kein Freund des Kaisers; jeder, der sich als König ausgibt, lehnt sich gegen den Kaiser auf.“ (Johannes 19, 12) Die Ungereimtheiten bei den Evangelisten tangierten ihn wohl nicht besonders. Die deutschen Bischöfe haben den GIBSON Film kritisiert, und vor einer „antisemitischen Instrumentalisierung“ (Netz-Nachrichten Online, 8. März 2004) gewarnt.

Was bewegt die Gemüter? Das „Neue Testament“ (später nur noch NT, d. Vf.) ist mit antisemitischem Geist nur so durchtränkt, quasi ein Lehrstück des Antisemitismus, der die gesamte Kirchengeschichte bis in die Neuzeit hinein begleitet hat. Er tritt überall dort auf, wo die Welt säuberlich in „Schafe und Böcke“ eingeteilt wurde, in Gute, zu denen man selbst gehörte („Ihr seid das Licht der Welt“, Matthäus. 5, 14) und in Böse, den Rest der Menschheit. Die Mentalität der urchristlichen Autoren zeigt, wie sie mit Schablonen und Schemata ihre Gedankengebäude rechtfertigten. Als Gegner Jesu tauchen in der Regel Pharisäer und Schriftgelehrte auf. (vgl. Markus 2, 6, 16, 3, 6) Sie sind es auch, die wegen ihres „falschen Glaubens“ verteufelt werden. Der Tod der Person Jesu wird im NT ganz auf die Juden abgewälzt. Die römischen Behörden sind außen vor, obwohl die historischen Quellen etwas ganz anderes sagen.

Bei Markus, dem ältesten Evangelium sträubt Pilatus sich, Jesus zu verurteilen: „Denn er erkannte, dass ihn die Hohenpriester aus Neid überliefert hatten.“ (vgl. Markus 15, 10) Noch eindringlicher lässt Lukas den Pilatus die Unschuld Jesu beteuern: „Pilatus sagte aber zu den Hohenpriestern und der Volksmenge: ich finde keine Schuld an diesem Menschen.“ (vgl. Lukas 23, 4) Matthäus fügt diese Szene ein, wo Pilatus sich die Hände wäscht und beteuert: „Ich bin unschuldig am Blut dieses Gerechten; sehet ihr zu.“ (vgl. Matthäus 27, 24) Dann folgt jener hanebüchene Satz, der sich in den folgenden Jahrhunderten schauerlich erfüllen sollte: „Und alles Volk antwortete und sprach: sein Blut komme über uns und unsere Kinder.“ (vgl. Matthäus 27, 25) Diese Selbstverfluchung halst dem jüdischen Volk als Ganzem die Schuld am Tode Jesu auf.

Der antisemitisch zugespitzte Vorwurf des Christusmordes findet sich auch bei Paulus, der im „1. Thessalonicherbrief“ schreibt: „Sie haben den Herrn Jesus und die Propheten getötet und haben uns verfolgt und gefallen Gott nicht und sind gegen alle Menschen feindselig. Sie hindern uns den Heiden zu ihrem Heil zu predigen, damit sie das Maß ihrer Sünden jederzeit voll machen.“ (2, 15f.) Diese Kollektivverurteilung passt nicht nur zum Wesen der paulinischen Theologie, sondern insgesamt zu den „Mühseligen und Beladenen“, die die Projektion des absoluten Außenfeindes benötigen.

Den Gipfel neutestamentlichen Antisemitismus stellt das Johannesevangelium dar. An ihm lässt sich besonders ablesen, dass jede christliche Theologie notwendig ihre Juden, die mythische Projektion benötigt. Dieser strenge Dualismus geht ständig mit den Begriffen: Licht und Finsternis, Wahrheit und Lüge, oben und unten, himmlisch und irdisch, Gott und Teufel, Freiheit und Knechtschaft usw. schwanger. „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich.“ (Johannes 14, 6) Der Finsternis und Lüge ist der verfallen, der den himmlischen Gesandten abweist, ja derjenige, der seine Legitimation anzweifelt. Daher belegt Johannes das gerne mit „Welt der Juden“ oder einfach „der Juden“. Die spätere Nazi-Terminologie „die Juden sind unser Unglück“ findet hier übrigens eine kolossale Entsprechung.

„Die Juden stammen weder von Gott noch von Abraham ab, sondern vom Teufel.“ (Johannes 8, 44) Als Kinder des Teufels, des Vaters der Lüge und des Menschenmörders von Anfang an, trachten sie Jesus notwendigerweise nach dem Leben. Bereits 1964 kam Prof. Erich GRÄSSER (damals Lehrstuhlinhaber für NT an der Ruhr-Universität Bochum) zu dem Ergebnis, dass Johannes die Juden als „stilisierte Typen“ kennzeichnen wollte, die „den Unglauben in der Welt exemplarisch verkörperten“. (Erich GRÄSSER: „Die antijüdische Polemik im Johannesevangelium“, in: New Testament, Studies 11, 1964) Bei den Evangelisten, speziell bei Johannes dienen die Juden als ein wesentlicher Bestandteil der christlichen Dogmatik: als Konkretion der Satanologie und Dämonologie.

Im erbitterten Kampf der verschiedenen Gruppierungen innerhalb des Christentums im 1. Jahrhundert und zu Beginn des 2. Jahrhunderts, siegte allmählich die Tendenz sich vom Judentum endgültig zu trennen. In der Literatur ist das mit dem Apostel Paulus verbunden, der im NT öfter auch der „Heiden Apostel“ genannt wird. (Vgl. Römer 11, 13; 15,16) Der endgültige Bruch erfolgte wohl in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts, in der auch die Zusammenstellung der Apostelgeschichte erfolgte, des letzten Teils des NT Kanons. Diese Erzählungen verweisen auf die endgültige Abgrenzung vom Judentum, oder besser: der antisemitische Hass ging einher mit der schon erwähnten christlichen Dogmatik, die die mythische Begründung des Christentums seit der wundersamen Wandlung des Christenverfolgers Saulus zum reinen Paulus aufbereiteten.

Zudem wurde das Schicksal der Juden während des 1.Jüdischen Krieges (vermutlich 66 n. Chr.) in einem erheblichen Maße verschärft, hatte natürlich zur Folge, dass die Tendenzen zur Ausgrenzung vom Judentum in den christlichen Gemeinden noch größer wurden. Unmittelbarer Anlass des Aufstandes war das Verhältnis des römischen Statthalters in Jerusalem (Gessius FLORUS), der die Juden nicht vor einem Pogrom der Griechen schützte und Geld aus dem Tempelschatz forderte. Die Niedermetzelung der römischen Besatzung in Jerusalem nach Bewilligung freien Abzugs durch die Juden provoziert eine allgemeine Aufstandsbewegung, die bald auch von den politischen Führern des Judentums, den Pharisäern, unterstützt wurde.

Im Jahre 132 n. Chr. kam es zu einem neuen Konflikt in Judäa. Der äußerer Anlass war gegeben, als der römische Kaiser HADRIAN (76-138. n. Chr.) die ‘Beschneidung’ unter Todesstrafe stellte, und weiter ankündigte, dass an der Stelle des zerstörten Jahweheiligtums ein Jupitertempel gebaut würde. Die Juden unter BAR KOCHBA erhoben sich gegen die Römer. Somit begann der 2. Jüdische Krieg, der vermutlich erst 134/35 n. Chr. endete. Die Römer gingen nun zu verstärkten Repressalien gegen das Judentum über (Eintreibung von Steuern etc.)

Die wichtigste Bedingung für den Erfolg des Antisemitismus war nicht nur der äußere Bruch mit dem Judentum, sondern die Einlösung des Gesetzestreue seit dem „Alten Testament“ (rituelle Vorschriften). Mit der Absage an diese Gesetze (vgl. Offenbarung des Johannes) war auch die Absicht verbunden, die Konflikte innerhalb der „reinblütigen Juden“ (der Bekehrten) zu verschärfen. „Nicht alle sind Israeliten, die von Israel stammen.“ (Römer 9, 6) Und sie selbst sollen zu den 144.000 reinblütigen Juden gehören, „die ins Himmelreich gelangen“. (vgl. Offenbarung des Johannes)

Die christliche Propaganda, die sich an alle Stämme und Völker wandte, musste die antisemitische Polemik gegenüber dem Judentum selbst im evangelischen Mythos über Jesus verschärfen, in der Legende über seinen Opfertod in Jerusalem, worüber der Film von GIBSON handelt. Der Vorwurf, mit dem sich GIBSON konfrontiert sieht, ist der Streit um Kaiser Bart. Und es ist völlig unerheblich, was GIBSON vorgeworfen wird; denn das NT ist durch und durch antisemitisch. Und der Antisemitismus als solcher ist das christliche Erbe, dass vor allem unter den Evangelisten verbreitet war um die Juden in ihrer Gesamtheit für den Tod eines Menschen verantwortlich zu machen; denn das Fortbestehen des Judentums war für die Christen unweigerlich ein Frevel, was sich in den folgenden Jahrhunderten deutlich zeigte (siehe auch meine Lutherkritik). Letztlich wurde die jüdische Ablehnung der Göttlichkeit Christi damit zum eigentlichen Gottesmord, einem Akt, den jeder Jude begeht, indem er einfach dem Judentum treu blieb.

Bleibt noch die Frage nach der Verantwortung für die angebliche Kreuzigung. Wer hatte Schuld am Tode Jesu? Dieser Frager sind unzählige Forscher nachgegangen. Die Bücher darüber füllen ganze Bibliotheken. Vielleicht gab es ein römisches Todesurteil, vielleicht auch nicht. Lukas meinte dazu: „Darauf sagte er zum drittenmal zu ihnen. Was hat denn dieser Böses getan. Ich (Pilatus, d. Vf.) habe keinen Grund zu einem Todesurteil bei ihm gefunden.“ (Lukas 23, 22) Die Studie von Professor Josef BLINZLER „Der Prozess Jesu“, Regensburg 1960), sei hier als Ausklang stellvertretend für all die Literatur zitiert, die sich mit diesen Fragen beschäftigt: „Wie der Fortgang der Passionsgeschichte zeigt, haben nicht etwa die Juden, sondern römische Soldaten die Hinrichtung vollstreckt... Der Ausdruck „er übergab“ hebt die Tatsache hervor, dass Pilatus mit seiner Entscheidung dem Begehren der jüdischen Ankläger nachgekommen ist. Darüber, ob diese Entscheidung die Bestätigung eines Urteils der jüdischen Richter oder ein selbständiges Urteil war, gibt jene Wendung keinen Aufschluss.“ (S. 252f.)

Der amerikanische Historiker Joel CARMICHAEL, kam 1965 zu dem verblüffenden Schluss, dass nach Markus 14, 49 Jesus eine Streitmacht besessen haben muss, die sich mit Waffengewalt gegen die Gefangennahme gewehrt haben soll. Diese soll sich mit Macht nicht nur gegen die Römer, sondern auch gegen andere Häscher (hier primär der Juden) gewehrt haben. Die Juden haben danach „keinerlei Sympathie für den anmaßenden Galiläer gehabt“. (Joel CARMICHAEL: „Leben und Tod des Jesus von Nazareth“, München 1965, S. 149) Es ist möglich, dass man ihn wegen „politischen Aufrührertums zur damaligen (üblichen) Todesstrafe durch Kreuzigung verurteilt habe“. (ebd.) Ob sie (die Römer) von jüdischen Würdenträgern gedrängt worden waren, muss geschichtlich unklar bleiben.

Der kulturelle Kampf um diese Fragen hört, wie man sieht, nicht auf. Er wird weiterhin jede Richtung bedienen, die sich ein Gewinn von einer scheinbaren Beantwortung nach der Frage eines Antisemitismus im Film erhoffen. Das Christentum hat insgesamt den Antisemitismus übernommen. Da es aus dem Judentum hervorging und in vielerlei Hinsicht jüdisch blieb, verwundert es nicht, dass es auf den ersten Blick befremdlich erscheint, dass zum Film „The Passion of The Christ” nun auf einmal “alter Wein in neue(n) Schläuchen“ auftaucht. Man wird den Eindruck nicht loswerden wollen, dass die Propaganda beider Seiten sich nun eminent verschärft. Betrachten sich doch beide als Gottes „auserwähltes Volk“. Gerade hier liegen auch die Wurzeln des christlichen Judenhasses bis heute; denn die Christen wollen es gerne sein.

Wer sich mit Antisemitismus beschäftigen will, der stellt fest, dass ihn das NT auf Schritt und Tritt predigt. Das Urchristentum mit seiner antijüdischen Polemik dürfte nichts anderes gewesen sein als eine Agentur einer repressiven Gesellschaft unter der Theologie des Kreuzes. Der Antisemitismus ist somit zu einer gesellschaftlichen Frage von höchster Brisanz geworden.

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