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DER POLITFILM/KOMMENTAR Dietmar Kesten 28.1.06 17:18
DER UNSICHTBARE AUFSTAND UND MÜNCHEN Dietmar Kesten 29.1.06 13:28

DER POLITFILM/KOMMENTAR

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 28. JANUAR 2006.

„München“ von Steven SPIELBERG hat die Diskussionen um den Politfilm neu entfacht. Weil er radikal anders sein soll, wird ihm eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Der politische Gehalt dieser Filme scheint auf den ersten Blick besonders ausgeprägt; denn meist reduziert er sich auf eine einzige Idee: über Ideologie reden zu müssen. Im Schutze dieser sieht er sich durchaus als wichtigster Zeitzeuge der Wahrheit, sozusagen als ihr Bürge. In gewisser Weise ging es ihm zu Anfang darum, das Fahrwasser Hollywoods zu verlassen, um den Kampf gegen die bürgerliche Kultur aufzunehmen. Da bei ihm das reine Vergnügen wegfällt, soll er in gewisser Weise authentisch wirken.

Ging es tatsächlich zunächst noch um soziale Ungleichheit, soziales Elend, um Bewusstheit, um Widerspiegelung bitterer gesellschaftlicher Realitäten (Vgl.
„Das Salz der Erde“, Regie: Herbert BIBERMAN, 1954), „Sterben für Madrid“, Regie: Frederic ROSSIF, 1963, „Apollon - Eine besetzte Fabrik“, Regie: Ugo GREGORETTI, 1969, „Die Stunde der Hochöfen“, Regie: Octavio GETINO, 1969, „Alles in Butter“ Regie: Jean - Luc GODARD, 1972) um Unerschrockenheit, um Unabhängigkeit, Gegenpropaganda und auch Parteinahme, um aussagekräftige Bilder und Fotos, die von einem gewissen dokumentarischen Wert waren, so hat er sich im Zuge der Modernisierung des Kinos grundsätzlich gewandelt.

Die beschleunigte technologische Entwicklung der Produktionsmethoden von Filmen ließ exemplarische Arbeiten und Dokumentarstreifen, die durchaus in Tradition alter kommunistischer Propaganda standen (Vgl. „Streik“, Regie: Sergej EISENSTEIN, 1924/25, „Panzerkreuzer Potemkin“, 1927) nicht mehr zu. Seine Darstellungsmittel veralteten. Ebenso der anvisierte Diskurs; denn zunehmend gleitet er in Pathos, Verklärung, Mythos, Schwülstigkeit, Dogmatismus, Emotionen und Alibis ab. Er konnte sich immer schlechter behaupten, was auch daran gelegen haben mag, dass ihm die Protagonisten fehlten.

Wird etwa an die Ernst THÄLMANN Filme gedacht (Vgl. „Ernst Thälmann - Sohn sein er Klasse“, Regie: Kurt MAETZIG, 1953/54, „Ernst Thälmann - Führer seiner Klasse“, 1955), dann wird deutlich, dass das kommunistische Filmauge seitenverkehrt angeordnet war. Diese Sprachregelung konnte nicht mehr verfremden. Der Blick zwischen den Arbeitern, ihren Führern und der ganzen Welt wurde zur Kulisse, zum Drehbuch, zur Inszenierung, zum personifizierten Mythos, der viel Symbolisches hatte, aber nicht mehr reales. Gerade diese beiden Filme machen klar, dass die aufgesetzt wirkende propagandistische Sprache kein Mittel mehr war, um auf Dauer mit rhetorischen Mitteln gesellschaftliche Alternativen zu vermitteln.
Selbst „Kuhle Wampe - Oder wem gehört die Welt“ (Regie: Slatan DUDOW, 1932), der einzige Propagandafilm der KPD , war nur eine Erzählform der Krise und bemühte m. E. nur die Ratlosigkeiten und Ängste der Weimarer Wirtschaftskrise.

Filme über den spanischen Bürgerkrieg (Vgl. etwa „Sierra de Teruel“, Regie: Andre MALRAUX, 1939, „La cuza“, Regie: Carlos SAURAS, 1965), oder die französische Volksfront (Vgl. „Das Leben gehört uns“, Regie: Jean RENOIR, „Die Marseillaise“, Regie: Jean RENOIR, 1938) hatten eine eindeutige politische Richtung, die unter praktischer Parteisache (Propaganda für die KPF) firmierten. Sie waren „Waffen“ im politischen Kampf und dienten der ideologischen Unterstützung.

Eine Zäsur gab es zu Beginn der 70ere Jahre. Politische Filme, die einen gewissen Rückhalt bei politisch interessierten Menschen halten, die durch Spenden finanziert wurden, durch alternative Verleihe und durch engagierte Filmemacher, die auf sich aufmerksam machten, wurden mehr und mehr durch die „kapitalistischen“ Anbieter verdrängt. Kaum jemand erinnert sich heute noch an das „Kanalsystem Rote Fahne“ (Propagandafilm aus der chinesischen Proletarischen Kulturrevolution), den zur Mitte der siebziger Jahre linke Agitatoren hochjubelten, den Film über Streik bei Pierburg („Pierburg: Ihr Kampf ist unser Kampf“, Regie: Edith SCHMIDT/David WITTENBERG, 1974/75) oder an „Wir gehen nach vorn“ (Dokumentarfilm über den Mannesmann - Streik 1973). Sie verschwanden in der Versenkung, weil sie niemand mehr sehen wollte. Und dieser Typus der Erzählung eindeutig abgegriffen war.

Die (politischen) Hollywood - Filme zu denunzieren, das gelang niemandem mehr.
Hollywood entdeckte sie für sich. Und überzog sie alle mit seinem bis heute unwiderstehlichen Glanz, alles und jedes abbilden zu müssen, was nach Profit aussieht. Hollywood folgte den Gesetzen des Marktes. Und die veränderten filmischen Produktivkräfte rufen in Erinnerung, dass die einstigen Vorbilder heute keine nachhaltige Wirkung mehr haben. Sie folgen den Regeln des Mainstream.
Selbst „Z“ (Regie: Constantin COSTA - GAVRAS, 1968), „Etat de Siege“ (Regie: Constantin COSTA - GAVRAS, 1972) sind „nur“ politische Spielfilme, die folgenlos bleiben müssen, weil sie kaum noch Bewusstseinsprozesse in Gang setzen können.

„Etat de Siege“, ein Film über die terroristischen Tupamaros muss heute Verstörung zurücklassen, da er sich vermutlich nicht eindeutig von der Gewalt als politisches Mittel distanziert. Dagegen ist „Die drei Tage des Condors“ (Regie: Sydney POLLACK, 1974) eher ein harmloser Politfilm, der zwar die Rolle der Geheimdienste (kritisch) hinterfragt, aber keine Antworten gibt. Als gesellschaftlich ergreifendes Kino
können die mit erhobenem Zeigefinger angetretenen Filme nicht bezeichnet werden, da sie nichts (mehr) in Frage stellen und nur moderne Werbefachleute geworden sind.

Diesem Urteil muss dann leider auch der hochgerühmte Film von Ken LOACH „Land and Freedom“ (1995) zum Opfer fallen. Man schreibt hier in (bester) Tradition die politische Protestbewegung einfach fort. Der Humanismus, der diesem Kino zugrunde liegt, entspricht kaum noch der Situation des heutigen Alltags, weil diese Glaubenssätze von zerbrochenen Hoffnungen und die Geschichten von Träumen nach altem Credo des Individualismus gestrickt sind.

Wie man sieht, sind die ergreifenden politischen Filme, oder die, die dafür gehalten werden, von der Bildoberfläche verschwunden. Heute regiert selbst in Mainstream -Kreisen, die nahezu alle politischen Felder beackert haben, der filmische Ausnahmezustand. Was will man noch zeigen, was kann man noch zeigen? Kuba, Vietnam, Prag und Chile, China, Albanien, der Nahe Osten- alles erträgt das Subjekt mit erstaunlicher Gelassenheit. Politisch wirksam sind diese Filme sowieso nicht.
Und eher vermitteln sie wohl persönliche - politische Aussagen, die mit dem bekannten Hollywood - Schmalz unterlegt sind.

Die Widersprüche sind offensichtlich. Aus den Ruinen dieser Zerrbilder entstammt dann auch SPIELBERGs „München“. Zugegebenermaßen rührt das Ereignis an. Doch sein Film ist kein Politfilm, sondern nur ein Thriller mit politischem Hintergrund. Legt man strengere Maßstäbe an, dann folgt er unweigerlich den Gesetzen dieses Genres, gefolgt von einer Enttäuschung nach der anderen. „München“ ist eine ganz und gar kommerzielle Produktion mit gezielten „Realitätseffekten“, die dem Film beigemengt sind. Um sie zu erreichen, schlüpfte SPIELBERG in die Rolle eines Filmreporters; denn das Ereignis musste ja auch tatsächlich noch einmal vor die Kamera geholt werden.

Erinnerung werden wach an jenen „Unsichtbaren Aufstand“ von 1972. Auch dort wurde versucht, fiktive Ereignisse filmisch zu verarbeiten. Dabei kam heraus, dass er allenfalls in eine brüchige Arroganz einmündete und mit einer engstirnigen dogmatischen Beweisführung verknüpft war. „München“ ist nichts anderes. Gipfelte dort der Schlussakkord in den berühmten Satz vom Kampf, der weitergeht ein, so ist es in „München“ ein Brustton der Überzeugung, der für Irritationen sorgt. Alle Menschen sind im Grunde böse, oder sind sie nur aus Versehen böse? Wer bildet die Ausnahme: die Palästinenser, die Israelis? So transportiert der Film mittelmäßig diese hochbrisanten Themen und kokettiert mit dem Schicksal. Mal ist es die Tochter eines Terroristen, die mit dem Leben davon kommt, mal Avner, mal ein anderer. Immer wieder das ständige Wiederholen der gleichen Klischees, das Abrutschen in die verbrämten Weltanschauungen beider Seiten. Auch insofern steht er in der Tradition der alten (amerikanischen) Vorbilder. „München“ bleibt fragwürdig, weil SPIELBERG, und das sei mit Deutlichkeit gesagt, den Filmmassenmarkt mit exakten Bildern beliefert. Und der Zuschauerkreis fällt erbarmungslos darauf rein.

Dietmar Kesten 28.1.06 17:18