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DER UNSICHTBARE AUFSTAND UND MÜNCHEN

EIN (UN-)HISTORISCHER VERGLEICH

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 29. JANUAR 2006.

In COSTA -GAVRAS „Der unsichtbare Aufstand“ (1972) gibt es bedrückende Bilder, die haften bleiben, weil sie den Zuschauer in den Bann eines Dramas ziehen, das von Hoffnungslosigkeit, Erschöpfung, politischer Indoktrination und terroristischer Willkür geprägt ist. In einer Zeit, in der die deutsche „Rote Armee Fraktion“ , die französische „Action Directe“, die italienischen „Roten Brigaden“, „ETA“ und „IRA“ zuschlugen, musste ein politischer Film, der von Terroristen und ihren Aktionen handelte, wie ein Schlag ins Gesicht wirken.

Im Mittelpunkt des 1972 gedrehten Films standen die „Tupamaros“, jene Untergrundorganisation in Uruguay, die erstmals 1963 auffielen, als eine Gruppe von jungen Männern einen Schweizer Schießverein in Montevideo überfielen. Diese Bewaffnungsaktion begründete die berühmte Stadtguerilla Lateinamerikas, die ihren Namen nach einem Inka König (Tupac Amaru) gewählt hatten. Ihr Konzept der Guerilla basierte auf Entführungen hochgestellter Persönlichkeiten, Anschläge in Großstädten, Geldbeschaffungsaktionen. Damit wollten sie auf die verheerende Situation in ihrem Land aufmerksam machen, einen Kampf gegen Rechtlosigkeit und Unterdrückung führen, gegen die politische Macht in Uruguay, die sich zum Handlanger der amerikanischen „Imperialisten“ gemacht hatte. Im Film befindet man sich zu jener Zeit, in der sie glaubten, mit Intellekt und Geschick die Gesellschaft verändern zu können. Im August 1970 wird der amerikanische Staatsbürger Daniel M. MITRIONE entführt, der später erschossen wurde. Von Linksgruppierungen wurde diese Entführung damals weltweit begrüßt. Heute dürfte sie als Vorstufe der modernen Selbstzerstörung gelten, als Opferung auf dem Weltmarkt, die in die totale Selbstverlorenheit terroristischer Aktivitäten übergeht.

In SPIELBERGs München drang ein Kommando des „Schwarzen September“ am 5. September 1972 in das Olympiadorf ein und überfiel das Haus der israelischen Ringer, erschoss einige von ihnen und nahm 9 Athleten als Geiseln. Das Kommando wollte damit in Israel einsitzende Gesinnungsgenossen freipressen und mit einer Chartermaschine die Bundesrepublik verlassen. Der „Schwarze September“ gründete sich vermutlich im September 1970, in der Zeit als im Nahen Osten durch den Tod NASSERs Ägypten den Führungsanspruch in der arabischen Welt verlor. Nach dem Sechs -Tage Krieg 1967, spätestens jedoch mit der Schlacht von Karama (1968) in Jordanien bildete die „PLO“ einen Staat im Staat. Und verschärfte damit die Konfrontationen mit HUSSEIN. Die „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP) verübte am 2. September 1970 ein Attentat auf ihn. Daraufhin kommt es in Jordanien zu schweren Ausschreitungen und bewaffneten Kämpfen zwischen den verschiedenen Freischärlergruppen. Im „Schwarzen September“ stehen sich Regierungstruppen und die „Palästinensische Befreiungsorganisation“ (PLO) gegenüber. Im Juli 1971 enden diese Kämpfe, die zig tausend Tote hinterlassen, mit dem Sieg der Anhänger von König HUSSEIN.

Am 6. September entführte die „PFLP“ drei Flugzeuge nach Kairo und Zarqa bei Amman. Die Entführung eines vierten Flugzeuges (von Leila KHALED) gekapert, scheitert. Später werden die entführten Maschinen von der „PFLP“ am Boden gesprengt. Am 16. September gibt HUSSEIN den Befehl zur endgültigen Niederschlagung des Aufstandes und lässt palästinensische Flüchtlingslager bei Amman bombardieren. Zur „PLO“ Unterstützung beordert Syrien Panzer nach Jordanien. Ein Abkommen zwischen NASSER und GHADDAFI bringt als Ergebnis, dass die „PLO“ ihre Stützpunkte in den Libanon verlegen muss. Hier irgendwo bildete sich der „Schwarze September“ als Abspaltung oder Fraktion aus der „PFLP“ oder der „PLO“ heraus. Die „PLO“ wird sich später von den Münchener - Aktionen vehement distanzieren.

Vergleicht man beide Filme miteinander, so fällt auf, dass die Hintergründe keine zufälligen Erscheinungen waren, sondern dass sie eine reale Entsprechung in der Weltpolitik hatten. Sie waren damals an keinen sozialen oder kulturellen Ort gebunden. Politische Befreiung von Unterdrückung und Ausbeutung, Kolonialismus, diktatorischem Polizeiterror, Korruption und militärischer Verfolgung gipfelte in den Kampf für eine neue soziale Gerechtigkeit. Während die heutigen religiös - fundamentalistisch motivierten Terroristen mit Selbstmordattentaten die Vernichtung der „gottlosen“ Weltordnung anstreben, hatten „Tupamaros“ und „Schwarzer September“ womöglich noch ganz andere Ziele. Als beide Gruppierungen jedoch erstmals Gewalt anwandten, bedeutete das auch schon ihr politisches Ende.

„München“ von Steven SPIELBERG hat natürlich kein Interesse daran, die historischen Hintergründe zu recherchieren, aus denen die Aktionen des „Schwarzen September“ resultierten. So setzt er einfach auf eine unhistorische Wahrheit: keine Verlautbarungen, keine Kommuniques, keine Hintergrundinformationen, sondern Fiktionen über Fiktionen. Hier wie dort erfährt man nichts von den Ideen, Zielen oder Motivationen der Attentäter. Sie werden dem Staat gegenübergestellt, der reagiert, der sich nicht verhandlungsbereit zeigt, sondern hart bleibt. Hier wie dort wird mit der Eskalationsstrategie durch die Sicherheitskräfte eine mögliche Verhandlungsposition sofort ab absurdum geführt. Die Verhandlungsergebnisse waren aber von vornherein klar: es werden keine Gefangenen ausgetauscht. Die Terroristen sind zu liquidieren.

Damit ist in beiden Filmen die Mär zerstört, dass man die Regierungen jemals zu etwas zwingen könnte. Weder COSTA - GAVRAS noch SPIELBERG differenzieren in ihren Darstellungen. Unrechtsprobleme interessieren sie nicht wirklich; denn niemand kann seine Hände in Unschuld waschen. Und die heuchlerische Toleranz lässt erst recht keine Definition von den Guten und den Bösen zu. Beide Filme sind insofern ahistorisch. Aber auch parteiisch. Während der Regisseur von „Z“ (1968), „Vermisst“ (1981), „Verraten“ (1987) sich eindeutig auf die Seite der Gewalt schlägt, bleibt der „Regisseur von „Schindlers Liste“ (1993) seltsam apathisch. Während COSTA - GAVRAS noch die Militärdiktatur anprangerte, prangert SPIELBERG die Gewalt an. Nur welche? Auf welche Seite schlägt er sich: auf die Seite des israelischen Widerstandes? Sollte das so sein, dann hätte er eindeutig Partei genommen.

Doch SPIELBERG ist klug genug, um diesen Verdacht nicht aufkommen zu lassen. Deshalb greift er zu den bekannten politischen Metaphern, die es ihm erlauben, es sich mit keiner Seite zu verderben. „Jeder stirbt für sich allein“, ich wollte „den Opfern beider Seiten ein Denkmal setzen“, ist die Flucht in die Fiktion, mit der er in „München“ angetreten ist. Der Film ist kein politischer Film, sondern ein einfacher Thriller, dem ein historisches Ereignis zugrunde liegt. „Der unsichtbare Aufstand“ und „München“, so unterschiedlich beide auch zu gewichten sind: es bleibt der unrühmliche Versuch, auf dem Rücken der Opfer (politisches) Kapital zu schlagen, um, wie auch immer, politisch zu indoktrinieren, kommerzielle Ziele zu verfolgen, oder zu manipulieren. Hier wie dort ist jeder Trick erlaubt, nur der (moralische) Sieg über den Feind zählt hier. Wer ist er aber wirklich?

Dietmar Kesten 29.1.06 13:28