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The New World

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THE NEW WORLD

EIN ERBAULICHER STOFF

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 3. MÄRZ 2006.

Dass die Wiederentdeckung der Natur bei Terrence MALICK (s-)ein zentrales Thema ist, hatte sich schon in „Thin Red Line“ (1998) gezeigt. Die Zerstörung bricht urplötzlich herein, kommt unerwartet und ist brutal. Sie verliert bei ihm auf der Stelle jegliche Unschuld und die moderne Welt gerät nicht nur ins Wanken, sondern sie bricht unter den Schlägen ihrer Selbstvernichtung zusammen. War „The Red Line“ immer auch ein Hinweis auf die ökologisch katastrophalen Folgen der Modernisierungsbewegungen, die einmal in Bewegung gekommen, ihre gleichgültige destruktive Fratze zeigt und sich in der Form der kriegerischen Ausbeutung der Natur durch die Landnahme im „Niemandsland“ als Abkehr von den natürlichen Ressourcen offenbart, so knüpft „The New World“ an diese kulturindustriellen Schockwellen an.

Der Film erzählt die bekannte Geschichte von Pocahontas: Nordamerika zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Im endlosen Gewirr der Wildnis, die von Stammeskulturen bevölkert ist, betritt John Smith (Colin FARRELL), ein zum Tode Verurteilter das Land. Captain Christopher Newport (Christopher PLUMMER), Kommandant der kleinen Flotte, will im Auftrag der Virginia Companay eine neue Heimat gründen. Er ahnt, dass die Fähigkeiten von Smith gefragt sein werden. Aus diesem Grunde nimmt er ihm die Fesseln ab. Schon bald lernt Smith die Indianerprinzessin Pocahontas (Q’orianka KILCHER) kennen und lieben. Doch die Liebe stößt auf Unverständnis und Widerstände.

Der Einfall der Briten ähnelt den ersten Bildern des „Schmalen Grats“. Der Off-Sprecher verkündet, dass wir alle „Teil einer einzigen Seele“ sind. Und wiederholt damit die Eingangssätze des Vorgängerfilms. Und auch die Bilder ähneln dem.
Der Dschungel ist unberührt. das „Herz der Natur“ ist präsent und bleibt im Gedächtnis haften. Dazwischen liegt der Stoß in die Kammern: MALICKS illusionslose Sicht über die katastrophalen Folgen von Herrschaft und Kolonialismus, über puren Überlebenskampf und dem Ende der Naturbeschaffenheit, die sich unter den Modernisierungsschüben beginnt aufzulösen. Diese Ethik bewahrt sich MALICK als eindringliche Warnung, die Natur zurichten zu wollen.

An seiner künstlerischen Ausdrucksfähigkeit gibt es nichts zu mäkeln. Ganz im Gegenteil: indem er den Stoff in atemberaubende und opulente, sehnsuchtsvolle und wahrhaft majestätische Bilder einfasst, gibt er der trostlosen Wahrheit einen Sinn, dass dieser Traum kein Alptraum sein darf. Die Jahrhunderte der Extreme und barbarischen Spannungen zerreißt MALICK durch seinen Blick auf das weitläufige Ambiente, in dem sich die Unheimlichkeit der nie hörbaren Stimme der Einheit von Natur und Mensch herauskristallisieren mag.

Doch diese Bestandsaufnahme ist nicht von Dauer. Und der Film kippt. Die angesagte Philosophie aus dem „Schmalen Grat“ verschwindet mehr und mehr. Und die Vermittlung von den schrecklichsten Augenblicken gehen über in eine Liebesgeschichte, die Klaus THEWELEIT in der „Zeit“ als „Liebeslegende“ bezeichnet hat, „so wie die Legion amerikanischer Kinderbücher sie zum Geschichtsstandard“ erklärte.

Selbst wenn dem Argumentationsstrang des Professors für Kunst und Theorie, der in seinem Buch „Der Pocahontas-Komplex“ diese Love-Story als „historisch ungesichertsten Teil der Geschichte“ bezeichnet hatte, nicht gefolgt werden sollte, blieb e doch nur die eingefärbte mythologische, dunkle, zerbrechliche und traurige Signatur vom Verlassen-Sein über. Das hat zur Folge, dass sich kein Blick mehr schärft für einen Diskurs über die Sprache und der Natur, die noch in seinem letzten Meisterwerk zu bewundern war.

Statt dessen fragmentiert er den menschlichen Umgang mit ihr (Natursprache) und spaltet die Charaktere auf, zersplittert sie, färbt sie ein und umrahmt sie mit penetrant nerviger WAGNER Musik, die die Nähe zur Unberührbarkeit der Wälder, den Wassern, dem Schilf und wohl dem ganzen Kontinent signalisieren soll. MALICKS mutiges Unterfangen setzt nun gänzlich zur Klischeebildung an: er stellt seine Eingangsfragen auf keinen Prüfstand mehr, Schuldfrage und Verantwortung entlädt er nicht in einen filmischen Zorn, sondern überkleistert ihn mit transzendentaler Philosophie und MOZART.

Fazit:

Außer den wunderbaren Eingangssequenzen bleibt nicht viel. Zu schnell kippt seine Philosophie über die Ausbeutung der Natur durch den Menschen, die einem im letzten Drittel des Films mehr und mehr unwirklich vorkommt.

Anmerkung des Verfassers:

Die Rezension von Klaus Theweleit ist nachzulesen in: „Die Zeit“ Nr. 7/2006 vom 9. 2. 2006.

Zusätzliche Informationen sind einzuholen in den ersten beiden Bänden der vierteiligen Studie über den „Pocahontas-Komplex“, Frankfurt/M., 1999.

Dietmar Kesten 3.3.06 13:39