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The New World

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EIN ERBAULICHER STOFF Dietmar Kesten 3.3.06 13:39
EIN ERBAULICHER STOFF? Joshua 4.3.06 17:40
EIN ERBAULICHER STOFF? Dietmar Kesten 5.3.06 08:50
EIN ERBAULICHER STOFF? Joshua 5.3.06 10:04
EIN ERBAULICHER STOFF? Dietmar Kesten 5.3.06 11:37
EIN ERBAULICHER STOFF? Joshua 5.3.06 12:15
EIN ERBAULICHER STOFF? Dietmar Kesten 5.3.06 14:38

Joshua schrieb:

» Lesen Sie die Rektoratsrede einmal aufmerksam
» durch, denken Sie bei Heidegger an Husserl und
» Hannah Arendt, rufen Sie sich in Erinnerung, dass
» Heidegger Bücherverbrennung an seiner Hochschule
» verbat und vergessen Sie nicht, dass er sich
» weigerte zwei Kollegen zu entlassen, weil Sie der
» Partei kritisch gegenübergestellt waren und was
» dazu führte, dass Heidegger seiner Position als
» Rektor entbunden wurde.
» Überlegen Sie bitte auch, weshalb Heidegger in
» seinem Kunstwerk-Aufsatz als das wesentliche
» Hauptbeispiel eine Arbeit von van Gogh anführt -
» van Gogh der zu der Zeit des Aufsatzes als entartet
» galt, auf der entsprechenden Ausstellung in München
» mit mehreren Bildern vertreten war und der laut
» Partei nicht in den Universitäten zu unterrichten
» war.
»
» Es fehlt mir mittlerweile die Zeit genauer darauf
» einzugehen, was Sie alles anführen. Aber eines
» noch:
» „Eigenwüchsig“, wie Sie schreiben ist hier nur ein
» naturalistischer Blick, eine konservative
» Naturauffassung, eine Formkonstitution wie bei
» Kant.
»
» Das ist Unsinn. Tut mir leid, das so zu sagen, aber
» Heidegger ist dort (im Kunstwerkaufsatz) sehr
» explizit und stellt sich gegen eine übliche
» "konservative" Einteilung in Form und Inhalt. Daher
» auch der Verweis auf Schellings Naturbegriff.
»
» Und ja: wir sollten uns Gelesenes und
» Nichtgelesenes um die Ohren schlagen, denn
» ansonsten kann man ja einfach irgendetwas erzählen,
» was einem gerade in den Sinn kommt und dann lohnt
» auch keine Diskussion mehr da alles zum gleichen
» Teil richtig und im selben Moment ebenfalls falsch
» sein kann.
»
» Malicks Film ist doch mindestens so offen, wie ein
» David Lynch Film, daher von "Falschheit" zu
» sprechen oder von Richtigkeiten, die man feststellt
» macht nicht viel Sinn. Aber das ist noch lange kein
» Grund dafür haarsträubende Überlegungen
» anzustellen, die doch sehr weit hergeholt sind (The
» Thin Red Line basiert nun mal auf Jones Buch, da
» gibt es kein wenn und aber; Jones benutzt dort
» einen ganz bestimmten Naturbegriff und stellt
» Fragen, die auch Malick wiederholt, auch das ist
» nicht wegzureden und durch Interpretation
» hinfortzudeuten. Schauen Sie auch einmal in John
» Smiths "The General Historie of Virginia" und
» Wingfields - das ist der, der im Film von seinen
» Männern erschossen wird - "A Discourse of
» Virginia," um festzustellen was Malick verändert
» und was er tatsächlich Wort für Wort übernommen hat
» und was diese Verändrungen bedeuten könnten).
» Und was Sie sich von der ständigen Wiederholung des
» Transzendenz-Begriffs erwarten bleibt mir
» rätselhaft.
»
» Ich fand die Diskussion soweit wirklich sehr
» anregend, aber jetzt bleibt mir wirklich keine Zeit
» mehr.
» Grüsse,
»
» Joshua


Wie Sie die Positionen zu Heidegger gewichten, ist mir auch nach mehrmaligen Lesen des Textes nicht klar geworden. Die Rektoratsrede ist eben Nazi-Begrifflichkeit gewesen. Und Heidegger war Reaktionär (wenn nicht sogar Nazi?) was nicht wegzudiskutierende Tatsachen sind. Heidegger empfahl in seiner Rede, die Universitäten in die Volksgemeinschaft einzugliedern und mit dem Staat zu verbinden. Die Universitäten müssten dazu jedoch auf den Stil ihrer Forschung verzichten, dem jede Grenze aus dem Blick gerückt sei und der sich selbst betrüge mit der Vorspiegelung eines internationalen Fortschritts der Wissenschaft
„Dagegen ist ein scharfer Kampf zu führen im nationalsozialistischen Geist, der nicht ersticken darf durch humanisierende, christliche Vorstellungen...
Von der Arbeit für den Staat kommt keine Gefahr, nur von Gleichgültigkeit und Widerstand. Deshalb soll nur die echte Kraft die Möglichkeit zum rechten Weg haben, aber keine Halbheit.“ Usw.
Und auch die Forschung (zuletzt: Kittsteiner: „Mit Marx für Heidegger, mit Heidegger für Marx“) lässt daran keinen Zweifel aufkommen. Vermutlich zieht sich seine krude Geschichtsphilosophie genauso durch sein Hauptwerk „Sein und Zeit“. Das dazu.

Warum soll „eigenwüchsig“ unsinnig sein? „Nur Gott kann uns noch retten“ (Heidegger an Augstein, 1966). Der Blick auf die „konservative“ Naturauffassung bliebe auch somit die einzige Möglichkeit in seinem Denken, dem Dasein als seinem „letzten Gott“ in seiner „einzigsten Einzigartigkeit“ zu begegnen, wie er es in „Sein und Zeit“ formuliert. Jones hin, Jones her: ich habe nun gar nicht seinen “Naturbegriff” angezweifelt. Ich habe nur angemerkt, was mir auffällt. Und diese Differenz entwickelt sich zu einem Weltanschauungsproblem, die bei Malick (s)eine Eigentümlichkeit darstellt. Und die in „The New World“ rübergerettet wurde.

Theweleit merkt dazu an:
„Zwischendrin gibt es ein bisschen Action, zweimal. Die Naturals und die Engländer geraten aneinander, im üblichen Dolby-Surround-Style. Zisch, Flopp, Blopp, Wupp, Kreng! Es fluppert und bongt von allen Seiten, während die Schlagwerkzeuge die Luft durchschneiden und auf Leder oder Fleischiges treffen. Wie flottes Videospiel und mit echt wenig Blut. ... Wozu der ganze Algonquin-Kurs mit Harvard-Trainer, wenn es, nachdem die Schiffe unter Wagner-Tosen angelegt haben, zu mehr nicht reicht als zu hundertstimmigem »Uh-huh-huh-uh-uh-uh-huh«-Gejuchz der Naturals?“

Das ist die „Falschheit“, die er kritisiert. Und es macht halt doch Sinn über „Richtigkeit“ und/oder „Falschheit“ zu sprechen, weil einem sonst verborgen bleibt, warum es geht: eben auch um Mystik („Pocahantas“ starrt auf den Ozean und murmelt „Mother“, das Wasserloch als Paradies und der Blick gen Himmel als sehnsuchtsvolles Schluchzen). Insofern denke ich schon, dass die Botschaften eindeutig sind.

Bliebe noch der Hinweis auf den von mir geschätzten Herrn Theweleit, der sich leider wegen einer angeblichen „filmkritischen Verwahrlosung“ mit einigen Kritikern zur Zeit herumschlägt. Es stimmt einfach. Die Positionen sind deutlich herausgearbeitet. Und darauf, worauf sie beharren: die Veränderung in der Begriffs- und Wortschöpfung bei Malick halte ich nicht für stichhaltig. Malicks meditative Jenseitigkeit, die mir aus „The Thin Red Line“ bestens in Erinnerung ist, verfehlt hier ihren Sinn. Gras, Wasser und Schilf hoch oben am Himmel der Vogelflug sind seine meditativen unschuldigen Momente. Die Existenz der Natur vor dem „Sündenfall“, dem Hereinbrechen der Barbarei. Insgeheim ist seine Übernahme der naiven Vorstellung von der paradiesischen Unschuld, in die er die Naturvölker setzt, „nur“ naturalistisch: er weidet sich an den knappen Kostümen, am schönen Gesicht von Pocahontas usw. Sind „Indianer“ bessere Menschen?

Diese „Jenseitigkeit“ (meine Begrifflichkeit: „Transzendenz“) fällt auch urplötzlich vom Himmel: als die ersten Sonnenstrahlen durch Baumkronen fallen, kommt man sich vor, als hätte sie Gott geschickt. Malick verspielt seine Aussagen aus „The Thin Red Line“ ziemlich eindeutig. Ich hätte mir gewünscht, das es anders gewesen wäre.
Malicks Film (Theweleit geht soweit, ihn sogar als „Kolonialistischen Softporno“ zu bezeichnen) ist ein schmachtender Film, der die Liebe zwischen John und Pocahontas beschreibt. Und sie auflädt. Jedes Bild eine detailgetreue-naturalistische Aufnahme der Liebe zwischen den beiden: ein Blick auf Grashalme, dann wieder sprudelnde Wasser, zarte Küsse, einige „unschuldige“ Griffe an den Nacken von Pocahontas, Palmblätter, Dschungeldörfer, kriegerische Auseinandersetzungen.

Ob sein Film „offen“ ist, glaube ich nicht. David Lynch ist ein anderes Kaliber. Und beide kann man gar nicht miteinander vergleichen. Sollten Sie mir noch einmal antworten wollen, dann schreiben Sie mir eine Mail.

Dietmar Kesten 5.3.06 14:38