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Der Herr der Ringe - Die Rückkehr des Königs

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Der Herr der Ringe - Die Rückkehr des Königs Dietmar Kesten 19.12.03 13:11
Der Herr der Ringe - Die Rückkehr des Königs Cub_744 7.1.04 02:35
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Der Herr der Ringe - Die Rückkehr des Königs Stefan Amolsch 23.12.03 18:39
Der Herr der Ringe - Die Rückkehr des Königs Dietmar Kesten 24.12.03 11:10

DER HERR DER RINGE – DIE RÜCKKEHR DES KÖNIGS.

LEBEN UND STERBEN

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 24. DEZEMBER 2003.

Wie gewöhnlich, so erstürmte auch in diesem Jahr eine weitere Folge
vom „Herrn der Ringe“ die Kinos.
In diesen Tagen, bevor die Nacht einen weiteren Mythos feil hält, scheint
die „Herr der Ringe“ Hysterie nahezu beklemmende Zustände auszulösen.
Der Zeitpunkt für Folge 3 kann nicht besser gewählt sein.
Einmal im Jahr mit Sauron, Frodo, Gollum, Legolas oder Arwen die jährliche
Erinnerung zu feiern, das hat etwas.
Schließlich ist es die Gemeinschaft der Lobhudelei, die dazu animiert,
sich an das tierische Recht des Stärkeren zu erinnern.

Die Hüter der Ring-Saga, die rückwärtsgewandt jede Kritik damit
abtun, dass es sich hierbei doch nur um die Verfilmung eines Märchens,
eines fantasievollen Dramas handelt, verstehen nicht, dass Tolkien
alle Binnenepen zusammenrührte und daraus eine Ring-Mythologie
mit fragwürdigen Aussagen zauberte, die jetzt gefeiert werden.
Selbst Georg SEEßLEN (Kulturkritiker, schreibt auch für „Die Zeit)
sah sich dazu veranlasst, den „Herrn der Ringe“
als den „ökonomisch, technisch und semiotisch bedeutendsten Film
zu Beginn des neuen Jahrtausends“ zu bezeichnen.
Wer will sich auch in die brodelnde Fantasy- Suppe spucken lassen?

Der Aberglaube bezog seine siechende Kraft aus der Vorstellung des
ewigen Lebens. Das erleichterte jeder SF-Literatur, jeder Märchengattung,
in denen die Handlung der Gefährten oder Gesellen, denen ‚andauernde
Freiheit’ und ‚unendliche Gerechtigkeit’ widerfahren durfte, ihre Aussagen
mit radikalen Worten zu tarnen.
So entstand ein psychosozialer Gesamtkomplex, der immer auf ein
bestimmtes Individuum oder ein bestimmtes Gattungswesen ausgerichtet
war.
In selbstherrlicher Verblendung war das Leid der peripher Getroffenen
wertlos, nichts anderes als ein sogenannter Abbuchungsposten, der
die schwarzen Schafe enttarnte und sie der ‚gerechten’ Strafe zuführte.

Die deutsche Volksliteratur z. B. ist voll davon. Wer sich an die
Gebrüder GRIMM erinnert, der erfährt schnell, welche Geschichten
sie sammelten, und wie sie mit ihnen die Reinheit der Sitten und
die schmerzhaften Rachegelüste auf die Spitze trieben („Frau
Holle“, „Aschenputtel“, „Brüderchen und Schwesterchen“).
Die Nibelungensage und ihre Heroen kultivierten jene Götterwelt,
die unangreifbar schien, in Leib und Seele mit Macht ausgestattet
waren. Sie schuf eine eigene Kultur, die später im Faschismus
das Konstrukt einer germanischen Rasse begründete, woran
der Komponist Richard WAGNER einen nicht unerheblichen Anteil
hatte.

Das schwulstige Pathos, das im Märchen, in den Fantasy- Abenteuern,
in den Sagen so grenzenlos überheblich ist, nährt sich zusätzlich
noch daraus, dass in ihnen die Bluts- und Bruderschaftsbeschwörungen
lustvoll ausgeschmückt werden, und dass sie letztlich die heldenhafte
Gesinnung im Geist der Mäßigung und der Treue propagieren.
Bisweilen ist diese naive Selbstdarstellung mit einer trostlosen
Gefühlslage verbunden, die mit einer Fülle von Leiden und Schmerzen
einhergeht, die allerdings ‚Tugenden’ sind, und deshalb so
vehement mit Kritik überzogen werden müssen.

Die Schizophrenie dieser ‚Glückseligkeit’, die mit Todesmut
verknüpft, auch die religiösen Seiten dieser ‚lebendigen Toten’
widerspiegelt, setzt einen hoffnungsvollen Glauben ein, der in einem
zweiten Leben als ‚Joker’ zu funktionieren hat.
Der Rettungsanker funktioniert nur in dieser angstvollen Hoffnung,
die im Märchen, im Mythos, in der Sage und in den Fantasy- Spektakeln
den Boden für Esoterik, Übernatürliches und Aberglauben bereiten,
die nichts mit der blanken Realität zu tun haben, und deshalb die
Rückkehr in den bürgerlichen Mutterschoß wagen.

Im „Herrn der Ringen“ betreibt die Kulturindustrie mit diesen Brosamen
eine peinliche Durchdringung der bedrängten Kreatur, die den
Gemütern einer herzlosen Welt mit einem neues Selbstwertgefühl
kommt, das jedoch hinter dem Donnerlärm und der angebotenen
‚Kriegsmaschine’ mit einer Zwiebel zu vergleichen ist. Kernlos
maskiert sich diese Charaktermaske, um von der Hohlheit
dieses Genres abzulenken.
Ein kritisches ‚Selbst’ ist dort nicht mehr gefragt. Das Subjekt
soll es gar nicht mehr geben. Es will auch nicht gefunden werden.
Das Reflexionsvermögen, alles auszuradieren, um dann für einen
plumpen Ring das Tischtuch zu zerschneiden, ist mehr als
aufgesetzt.

Der „Herrn der Ringe“ kann jedoch auch mit seiner Zerstörung
nach Innen und nach Außen dazu beitragen, dem modernen
Anspruch der Konkurrenz gerecht zu werden.
Deshalb sind die Vergleiche mit Kulturideologie und Kulturproduktion
durchaus angebracht.
Sein bizarrer ‚Friedenskrieg’ ist im übertragenen Sinne mit der
Verwilderung der Gesellschaft zu vergleichen, der andauernd ist,
und der Tod im Märchen, in der Fantasy, soll heucheln, dass das
eigentliche Leben erst nach ihm beginnt.

Die Warenproduktion findet offenkundig daran Gefallen.
In den Predigten und den Geschichten dieser Machwerke
werden geistlose Zustände eingefordert, die soweit gehen,
dass sie den lebendigen menschlichen Verfall einfach und ohne
wenn und aber sanktionieren.
Es sind diese Fäulnisprozesse, die sich im erschreckenden Masse
im Kino unserer Tage niederschlagen.
Die Erlösungsfantasie des „Herrn der Ringe“ ist dann in dieser Form
tatsächlich ein Novum im postmodernen Bilderzirkus, den der
Literaturwissenschaftler Stephen SCHAPIRO kritisiert, und
JACKSON seine Reise in die mythische Vergangenheit gar nicht
abnimmt.
Meint er doch, „er habe die Orcs aus schwarzem Urschlamm
geformte Söldnerheere, mit den Zügeln der Aborigines
versehen“.
Für ihn ist selbst das raunende Romankonglomerat ein
„komplex verwuseltes vages Feld“, das eine paradoxe Mischung
„aus Schicksalsglaube und praktischer Affirmation“ darstellt.

Die Ohnmacht des Menschen, der sich dieser Art von
Heilsversprechen unterwirft, überlässt diesen Filmschinken
sein eigenes Schicksal: Raum und Zeit überspringen, Leib
und Seele wechseln, um am Ende von Sauron überholt zu
werden, der sich selber reproduziert. Und wenn er schon kein
Mensch mehr ist, dann kann er seine eigene Gesellschaft
aufmachen. Der selbstbewusste Mensch war ein Aufruf der
Aufklärung.
Wenn er jetzt medial zum ‚Schicksalsberg’ wird, dann wird die
Aufklärung selbst hinfällig

Dietmar Kesten, Gelsenkirchen

Dietmar Kesten 26.12.03 15:26